Unser schönster Wembleytag: Borussia Dortmund – FC Bayern 1:2

Im Vorfeld vom wichtigsten Spiel unserer Gruppengeschichte zu sprechen, wäre nicht angemessen gewesen. Es war schließlich das dritte Finale in vier Jahren. Gleichzeitig war es aber auch ganz anders als die beiden vorherigen Finals. Die Reise nach Madrid 2010 war ein Geschenk. Sie kam überraschend und als sich dann am Finaltag während der 90 Minuten zeigte, dass Inter die bessere Mannschaft ist, war dies auf seltsame Art und Weise okay. 2012 dann das Finale daheim – selbst für am Cupfieber erkrankte Personen war der Hype nur schwer erträglich. Der Abend selbst eine Katastrophe. Wir waren klarer Favorit, spielten Chelsea an die Wand und hatten über das gesamte Spiel gesehen schon dreimal beide Hände am Cup – 1:0 Müller, Foulelfmeter Robben, Führung im Elfmeterschießen. Über zehn Jahre hatten wir auf den Sieg im Europapokal gewartet und jetzt wo er verdient gewesen wäre und wie auf dem Präsentierteller lag, versetzt uns Drogba zwei Stöße ins Herz. Tagelange innere Leere wurde irgendwann von einem irrsinnigen Verlangen nach dem Henkelpokal abgelöst. Die nächste Saison kam und von Beginn war klar, dass die Reise auch diesmal nicht vor dem Endspiel enden dürfte. Die Vorrunde brachte uns drei coole Spiele in Minsk, Lille und Valencia. Jedes auf seine eigene Weise ein kleines Highlight. Währenddessen herrschte bei den Heimspielen Tristesse und man verfolgte die Spiele außerhalb der Kurve. In der KO Runde wurden namhafte Gegner weitgehend problemlos aus dem Wettbewerb befördert. Der große FC Barcelona erlebte zweimal ein Debakel. Es war alles angerichtet für die Erfüllung des großen Traums – 25. Mai in Wembley, einem der legendenreichsten Orte des Fußballsports. Zwischen uns und dem Europapokal standen nur noch die Schwarz-gelben aus Dortmund. Ganz lustig, dass am Dienstag vor unserem Rückspiel im Nou Camp wohl unsere gesamte aktive Fanszene Real die Daumen gedrückt hat. Die Borussia erschien sehr vielen als der gefährlichere Gegner.

Keine Frage, die Finalvorbereitungen liefen bereits nach dem Halbfinalhinspiel auf Hochtouren. Es stellte sich anfangs als problematisch heraus, Fährenplätze für unseren gesamten Buskonvoi, an dem sich alle Ultrasgruppen und einige weitere Fanklubs beteiligten, zu organisieren. Eine Fährgesellschaft verlangte sogar 5000€ Kaution pro Bus. Schon sehr erschreckend, wie der Finalwahnsinn dieses Mal also schon auf der Anreise um sich greift. Letztendlich wurden die Telefonate dann nicht mehr auf deutsch bzw. mit deutschem Akzent geführt und schon fand sich dann doch noch eine Fähre auf der alle Busse Platz fanden.

Am Vormittag erreichte unser Buskonvoi also London und den für die Bayernfans ausgewiesenen Parkplatz. Und schon merkte man, dass ein Finale gegen einen deutschen Gegner eben nochmal eine zusätzliche Brisanz hat. Eine Gruppe fitter Dortmunder nutzte die Gelegenheit und griff uns von einer angrenzenden Baustelle aus an. Nachdem wir erstmal ordentlich mit Wurfgeschossen eingedeckt wurden, gab es dann auch noch etwas wirklichen Kontakt. Angesichts der Sachen, die da geflogen kamen, können wir durchaus froh sein, dass niemand für immer liegen geblieben ist. Leider müssen wir auch zugeben, dass in der Hinsicht auf Waffen und Wurfgeschosse auch auf unserer Seite Dinge passiert sind, die absolut nicht gehen. Waffen und Wurfgeschosse wie Steine haben für uns in einer Auseinandersetzung nichts verloren. Nach ein paar Minuten hatte der ominöse Führer, den ein paar der Dortmunder ständig grüßten, wohl genug gesehen und die Szenerie löste sich auf. Als sie kurze Zeit später an anderer Stelle nochmal auftauchten, machten die Borussen eine bessere Figur als die Verteidiger des Parkplatzes. Spannender Start in den Finaltag.

Anschließend ging es gemeinsam zum zwei Kilometer entfernten Barham Park. In der Umgebung wurde der Nachmittag verbracht – zwei, drei Bier im Pub, eine Kleinigkeit vom Inder und nochmal eine Flasche Wasser aus dem Supermarkt. Gegen 15:00 Uhr Ortszeit hatten sich dann mehrere Tausend Bayernfans am Treffpunkt eingefunden, gemeinsam ging es Richtung Wembley. Ein geiler Anblick, wenn man über eine Hügelkuppe läuft und sich hinter einem einfach ein rot-weißes Menschenmeer ergießt. Für die Cops stellte dies organisatorisch wohl auch eine große Herausforderung dar. So wurde der Mob immer wieder gebremst und wir benötigten für die lediglich 2 Kilometer über eine Stunde.

Am Zugang zum Busparkplatz machte sich nochmals etwas Hektik breit. Ein paar Provokationen hier, ein wenig Rennerei da. Nix bewegendes, aber trotzdem schön, wenn man sieht, dass so ein Finale eben kein Happy Hippo Karneval ist, bei dem jeder stets nach der Pfeife der Ordnungskräfte tanzt.

Der Zugang zum Stadion war diesmal vernünftig geregelt. Ging alles halbwegs fix über die Bühne. Wie schon beim Finale zuvor schafften es auch diesmal wieder einige Bayernfans und Fans befreundeter Vereine, sich ohne gültige Zugangsberechtigung ins Stadion zu schleusen. Sehr erfreuliche Sache, die allerdings doch davon getrübt wird, wenn man gezwungen wird darüber nachzudenken, was für Arschlöcher sich Bayernfans schimpfen. Da hört jemand wie sich andere darüber unterhalten, ohne Karte ins Stadion gekommen zu sein und er hat nichts besseres zu tun, als zum nächsten Ordner zu rennen. Was reitet solche Menschen, missgönnt Ihr es wirklich anderen Fans an so einem großen Tag teilzuhaben? Immerhin war das Englisch des Trottels wohl nicht gut genug, oder der Ordner war ein wesentlich coolerer Typ als unser sogenannter Bayernfan.

Immerhin hielt sich die sonstige Stresserei wegen belegten Sitzplätzen dieses Jahr in Grenzen. Es nervt schon bei einem Vorrundenspiel Leuten erklären zu müssen, dass man seit Jahren freie Platzwahl praktiziert und für sie heute keine Ausnahme machen wird.

Es war also angerichtet, jeder stand an seinem Platz. Alle Zaunfahnen hingen. Über der Schickeria-Fahne flaggten an diesem großen Tag die Freunde vom VfL Bochum, Ultrà Sankt Pauli und den Ultramarines Bordeaux. Vielen Dank für Eure Anwesenheit – auf der Straße, im Stadion und bei den anschließenden Feierlichkeiten.

Bevor die 22 Hauptakteure den Rasen betreten konnten, war es aber noch Zeit für die Eröffnungsfeier der UEFA. Vielen Dank, wir dachten es geht nicht mehr besser. Das Duell Bayern gegen Dortmund wurde als mittelalterliche Schlacht mit Mord und Totschlag inszeniert. Aha, Fußball wird also in den Kontext eines schrecklichen Gemetzels gesetzt und gleichzeitig sperrt die UEFA Stadien und vergibt hunderttausende Euro an Geldstrafen, weil ein wenig Feuerwerk auf den Tribünen gezündet wird. Die Hypokrisie lebt auf allen Ebenen, erst recht bei den Fußballfunktionären. Die Dortmunder Ultras und Fans im zentralen Bereich des Unterrangs drehten der Inszenierung den Rücken zu. Man muss zugeben, dass bei uns wohl die wenigsten überhaupt über eine größere Reaktion auf dieses abstruse Schauspiel nachdachten. Klar könnte man das mit der großen Anspannung erklären, ebenso ehrlich kann man aber auch sagen, dass wir in der Hinsicht mittlerweile einfach total abgestumpft sind. Drittes Finale in vier Jahren, immer wieder Pokalfinale und unser Verein lässt sich ja auch gerne regelmäßig irgendwelche Showeinlagen einfallen. Man lässt es mittlerweile halt über sich ergehen. Ändern werden wir hier vermutlich nichts mehr können.

Als Mao-Freund Paul Breitner und Andrea-Kaiser-Freund Lars Ricken dann ihre Kompanien vom Spielfeld geführt hatten, war endlich Platz für die zwei Teams in Rot und Gelb. Während die Spieler den Rasen betraten, präsentierte unsere Kurve eine Choreo unter dem Motto “Heute ist wieder ein guter Tag“. Die Anlehnung an den großen Abend im San Siro 2001 wurde durch das Motiv des Europapokals der Landesmeister und die Jahreszahlen unserer Siege in diesem Wettbewerb unterstrichen. Großer Respekt an den Club Nr. 12 trotz aller Widrigkeiten mit der UEFA und der eigenen Fanbetreuung eine solche wunderbare Choreo auf die Tribüne zu zaubern. Ebenso großen Respekt haben wir aber auch vor der Entscheidung der Dortmunder Choreographen angesichts all der Vorgaben und Beschränkungen auf ein großes Kurvenbild zu verzichten. War sicher keine einfache Entscheidung und wurde sicherlich nicht von jedem innerhalb der Fanszene ohne Proteste hingenommen. Wir sind uns übrigens äußerst unsicher, ob die Funktionäre des FC Bayern eine solche Entscheidung der Fanszene ebenso einfach akzeptiert hätten wie die Verantwortlichen der Borussia, oder ob man dann auf Teufel komm raus mit der Hilfe einer PR-Agentur eine Choreo organisiert hätte.

Und dann rollte der Ball. Beide Kurven erhoben die Stimmen und so mancher Freund bei der UEFA dürfte sich hier mal kurz die Hände gerieben haben. Was kann es für eine bessere Werbung für das Produkt Champions League geben, als zwei aktive Kurven, die über weite Teile des Spiels für eine perfekte akustische Begleitung des Spiels sorgen. Wir wollen uns hier nicht damit aufhalten irgendwie zu bewerten, welche der Kurven die bessere war. Eine Selbsteinschätzung der Dortmunder Kurve findet man sicherlich in deren Veröffentlichungen. Interessant ist lediglich, dass die Dortmunder anscheinend in einer gewissen Form Karten für den Unterrang zum Preis der deutlich billigeren Oberrangkarten zur Verfügung gestellt bekommen haben. Beim FC Bayern momentan leider undenkbar.

Auf unserer Seite hat man in den Tagen nach dem Finale öfters gehört, dass unser Auftritt schlechter als die beiden Finals zuvor gewesen wäre. Der Eindruck mag daher rühren, dass der Mittelrang diesmal mit Karten aus dem UEFA Kontingent gefüllt wurde und nicht mit Bayernfans, vielleicht lag es auch an der Entscheidung der Ultrasgruppen, sich auf beide Teile der Kurve aufzusplitten. Im Nachhinein wird sich aber keiner wegen der Stimmung großartig grämen. Wir haben den Henkelpott und darum ging es an dem Tag.

Bis dahin war es aber ein ganz schön weiter Weg, gepflastert mit mehreren Herzstillständen, unbändigem Jubel, krassem Entsetzen, Tränen, Hände vors Gesicht schlagen, Luft anhalten, durchschnaufen…. Dem subjektiven Eindruck nach war es definitiv das sehenswerteste Finale seit dem Elferkrimi zwischen scheiß ManU und scheiß Chelsea in Moskau 2008. Es war fast alles dabei was ein großes Fußballsiel ausmacht: zwei überragende Torhüter, vergebene Großchancen, Nicklichkeiten und Tätlichkeiten auf dem Spielfeld, ein spannender Spielverlauf und natürlich das Happy End für Rot-Weiß durch Arjen Robben. Zu Arjen Robben und diesem Finale könnte man wohl eine Doktorarbeit schreiben. Wie er erst die guten Chancen liegen lässt und den Ball dann kurz vor Ende der 90 Minuten doch cool und überlegt einschiebt. Natürlich wird es allen anderen nicht gerecht, nur die Nummer 10 namentlich zu nennen. Es fehlt uns lediglich der Platz und die Zeit hier jeden einzeln für seine Leistung zu würdigen.

Es geht hier ja auch vor allem darum, auf den Finaltag von uns Fans zurückzublicken. Und die zentralen Momente für uns alle waren wohl jene als Weidenfeller dem Ball nur noch hinterhersehen konnte und der Schiedsrichter sieben Minuten später abpfiff.

Ihr merkt es bei jedem Spielbericht. Wir sind keine großen Literaten. Was nach dem Siegtreffer im Block abging, können wir daher in keinster Weise adäquat in Worte fassen. Die Minuten nach Schlusspfiff waren vielleicht nicht so exzessiv, wie wir sie erwartet hätten, aber trotzdem von einer richtig krassen Intensität und voller vieler persönlichen Geschichten.

Der Rest der Nacht sind bloße Erinnerungsfetzen. Tanz im Fackelschein am Busparkplatz, zwanzig-dreißig Minuten im totalen Rausch, schnell mal ein Bier, Leute umarmen, man hat ja im Stadion nicht jeden gesehen. Im Bus wird weiter gefeiert, der Alkohol fließt in Strömen, alles andere auch. In Calais nochmal Aufregung. Dortmund ist da. Alle wieder raus aus den Bussen und nochmal ein paar Schritte vorwärts gemacht. Die Bullen schieben sich zwischen uns und die Dortmundern Busse, die noch ein gutes Stück weiter fahren. Die Motivation nochmal ordentlich nachzusetzen hält sich in Grenzen. Wir haben den Cup, wir wollen feiern. Und so geht es stundenlang weiter, utopische Feierei, irgendwann am Abend sind wir daheim und es geht weiter in die Kneipe. Montags schleppt man seinen Kadaver auf die Arbeit, scheißegal am abend wird der Cup weiter zelebriert, Dienstag das gleiche Spiel. Europapokalsiegermarsch. Tausend Besoffene ziehen durch die Stadt. Mittwoch nochmal ein paar Stunden quälen, Donnerstag ist endlich Feiertag. Und wenn es ganz schlimm kommt, gibt es ja noch den einen Gedanken, der selbst den schwersten Kopf verfliegen und das schlimmste Magenbrennen verschwinden lässt.

WIR HABEN DEN LANDESMEITERCUP!

Fotos vom Finale in London findet Ihr hier.

Fotos vom Europapokalsieger-Marsch in München gibts hier zu sehen.

Sowohl vom Finale als auch vom Europapokalsiegermarsch findet Ihr auch ein Video auf www.suedkurve-muenchen.org