Vortrag von Rudolf Oswald
Letzten Freitag durften wir den Historiker Rudolf Oswald im Sperrbezirk begrüßen, der einen Vortrag über Fanverhalten in den 20er Jahren hielt. Während der Fußball vor dem ersten Weltkrieg nur wenige Zuschauer anzog und aufgrund der Konkurrenz des DFB zu anderen Fußball- und Sportverbänden sehr bürgerlich geprägt war, gewann der Fußball in der Zwischenkriegszeit enorm an Bedeutung und lockte in großen Zahlen Zuschauer an. Zu diesem Zeitpunkt entstand auf den Tribünen erstmals eine Kultur, die man als Fankultur bezeichnen kann. Gewalt war eine wichtige Ausdrucksform dieses neuen Fanatismus und der Fußball in Deutschland sowie in anderen europäischen Ländern wurde zu dieser Zeit immer wieder von enormen Gewaltexzessen erschüttert. „Verantwortlich für die aggressive Stimmung in den Stadien war die Herausbildung von Stadtteil-Identitäten in der Phase der Hochindustrialisierung. Fußballvereine waren Aushängeschilder einzelner Viertel und wurden vehement gegen konkurrierende Klubs verteidigt. Die Folge: jeder nur erdenkliche Vorfall im Match – vom Foulspiel bis hin zur zweifelhaften Schiedsrichterentscheidung – wurde zum Anlass genommen, um gegen das gegnerische Team, deren Anhang oder den Unparteiischen vorzugehen.“ Anders als bei den Hooligans heute blieb die Gewalt aber situativ, war nicht vorhersehbar und nicht verabredet. Da in dieser Zeit der Spielbetrieb auf lokaler Ebene ausgetragen wurde, gab es aber ständig Derbys und damit Anlässe, das eigene Viertel gegen die Eindringlinge aus rivalisierenden Stadtteilen zu verteidigen. Auch Gegensätze zwischen in der Peripherie und im Stadtzentrum angesiedelten Vereinen spielten bei den Rivalitäten eine Rolle. Anders als bei späteren Fangenerationen gab es keine äußeren Erkennungszeichen wie Fanschals, da man sich bei seinem lokalen Verein kannte. Auch war es zu dieser Zeit (wohl überwiegend aus finanziellen Aspekten) nicht besonders üblich, mit seinem Verein auf weitere Reisen zu gehen, weswegen die Spiele des Lokalrivalen als „dritter“ Fanblock besucht wurden, um dessen Gegner anzufeuern. Die Funktionäre des Vereins spielten bei den Auseinandersetzungen nicht selten eine aktive Rolle, stifteten sie an oder hetzten in den Club-Zeitschriften ihre Zuschauer gegen die anderen Vereine oder die Schiedsrichter auf. Anders als später unter dem Vorzeichen der Professionalisierung, gab es in dieser Zeit keine Trennung zwischen Fans und Funktionären. Rudolf Oswald belegte seine Thesen mit Beispielen aus Mannheim, Frankfurt, Breslau und München, da er sich schwerpunktmässig mit dem Fanverhalten in diesen Städten beschäftigt.
Er weiss von einem kurzzeitigen Rückgang der Fangewalt zu berichten, als ein neues Ligensystem mit Begegnungen gegen weiter entfernte Vereine eingeführt wurde. Doch innerhalb kürzester Zeit entwickelten sich neue Rivalitäten und die lokalen Gegensätze verloren überall da an Bedeutung, wo in einer Stadt oder einem Ballungsraum nur ein Verein höherklassig spielte.
„Gewalt im Fußball ist kein Phänomen der letzten Jahrzehnte oder der Gegenwart. Gerade die Frühgeschichte der Sportart im Deutschland liefert hierfür zahlreiche Belege.“ Neben den historischen Wirkungszusammenhängen der Ausschreitungen sind im Vortrag einige einzelne spektakuläre Vorfälle und etliche Annektoten und Geschichten zur Sprache gekommen. Vielen Dank an den Referenten.
Interview mit Rudolf Oswald für einestages von Spiegel Online und Aufsatz über „Fussbal als Kampf um die Beherrschung lokaler Räume„.