Wir haben uns die Mühe gemacht, diesen wirklich guten Bericht von Sportpeople aus Italien zu unserem Auswärtsspiel in Rom zu übersetzen – viel Spaß damit:
Wenn der Lehrling den Meister überflügelt: Roma – Bayern, Champions League
Wer meine bisherigen Berichte kennt, weiß, dass ich nicht der Typ bin, der ausländische Fans allzu schnell mit Lob überhäuft. Vor allem nicht, wenn es sich dabei um Deutsche handelt. In der Tat sind die deutschen Fans oft nichts weiter als eine billige Kopie, auf Fotos machen sie einen guten Eindruck, aber wenn es um den Tifo geht, bleiben sie blass. Aber dieses Mal muss ich ehrlich sagen, dass die Fans von Bayern München heute Abend im Stadio Olimpico, was Tifo, Choreographie, Pyro und Lautstärke betrifft, Napoli, Catania, den Griechen von Olympiakos sowie den Kroaten aus Split ebenbürtig waren. Ich übertreibe nicht, obwohl ich nie gedacht hätte, dass ich das einmal schreiben würde. Im Stadion waren 40 Minuten vor dem Anpfiff bereits mindestens 7.000 Leute im Gästeblock. „Wie gehabt“, dachte ich. Das letzte Mal als Bayern bei uns gespielt hat, waren ebenfalls viele Gäste anwesend, aber der aktive Kern von ihnen war nicht größer als 300 Personen.
Im Stadion bot sich ein Anblick, den man so schon lange nicht mehr gesehen hatte, trotz der aberwitzigen Preispolitik der amerikanischen Eigentümer: 40 Euro für ein Ticket in der Kurve, 60 auf der Gegengeraden. Doch da die Roma in der Liga vorne mit dabei ist und auch in der Champions League bislang einen guten Eindruck hinterlassen hatte, wollten die Romanisti dieses Ereignis nicht verpassen.
Bereits wenige Minuten vor dem Anpfiff beginnen die Deutschen sich durch ein lautes Einklatschen aufzuwärmen. Ich dachte mir nichts dabei, das ist halt die übliche anfängliche Begeisterung, die nach 10 Minuten wieder verblasst sein wird und bis auf ein paar hundert Leute wird dann keiner mehr weitermachen. Ich muss allerdings gestehen, dass meine Vorurteile voll und ganz widerlegt werden sollten. Aus der Menge der rot-weißen Fahnen an der Balustrade stechen besonders jene aus Civitanova und San Benedetto hervor, beides langjährige Freunde der Münchner.
Zur Melodie von „Roma, Roma, Roma“ wird im Stadion eine schöne Schalparade gezeigt sowie etwas Rauch hier und da; die Südkurve wartet nur darauf, die heutige Choreographie zu starten: es werden Tausende von Fahnen in den Vereinsfarben geschwenkt sowie das Banner „Per sempre sventolerò questa bandiera“ – „Ich werde für immer diese Fahne schwenken“, all das gekrönt durch zahlreiche Fackeln und Rauch. Wirklich sehr schön und beeindruckend. Die Gäste wollen dabei nicht einfach nur zusehen, sondern verwenden eine Vielzahl von Plastikschals um den Eindruck einer rot-weißen Wand zu erzeugen. Ebenso schön. Zwei einfache, aber wirkungsvolle Choreographien.
Nach den üblichen Anfangsritualen der Champions League inklusive der Hymne (ein Moment, den ich persönlich schwer ertragen kann, ist sie doch ein extremes Symbol für den modernen Fußball), kann der Wettkampf auf dem Feld und auf den Tribünen beginnen. Was das Sportliche betrifft gibt es wenig zu kommentieren, die Roma wurde vom stärksten Team Europas, das in allen Belangen überlegen war, schwindlig gespielt. Die zweitstärkste Kraft der italienischen Liga wurde gedemütigt, man bekam eine deutliche Vorstellung davon, wie weit es mit unserem Fußball gekommen ist. Aber ich weiß nicht ob das überhaupt jemanden interessiert, hat man doch im Übrigen mit Dekreten, aufgerüsteten Stadien, Gruppenstadionverboten und der „flagranza differita“ (bedeutet grob, dass man auch, ohne festgenommen worden zu sein, im Nachhinein belangt werden kann für Zwischenfälle bei Sportveranstaltungen) zu kämpfen.
Viel interessanter hingegegen ist das Spiel der Ultras. An der Curva Sud gibt es an diesem Abend wenig auszusetzen: der Tifo hört nicht einmal beim Stand von 0-5 oder gar 1-7 auf. Schwenkfahnen, Klatschen, Rauch und lang gehaltene Chöre sorgen dafür, dass am Ende die Kurve von den anderen Fans bejubelt wird.
Das Problem der Römer am heutigen Abend war allerdings, dass sie einem Gegner gegenüber standen, der was Organisation, Kompaktheit und Choreographie betrifft derzeit ganz weit oben mitspielt. Es gibt wenig zu sagen, sie haben ihre Lektion gut gelernt. Perfekt gelernt. Angefangen beim Einklatschen, das von allen mitgemacht wird, und wenn ich sage von allen, dann meine ich das auch wirklich so, über wunderbare Schalparaden (eine im Stil von Avellino, wo die Schals rauf und runter gehen), einer Pyroshow zu Beginn der zweiten Hälfte und Wechselgesängen bis hin zu „Alle nach links, alle nach rechts“ lief es einem kalt den Rücken runter.
In München wird aktuell das gemacht, was wir schon beinahe vergessen haben: eine
gemeinschaftliche Identität der Fans zu erzeugen, die über den Kreis der Ultras hinaus geht. Weil jemand, der in die Kurve geht nicht zwangsweise die Mentalität eines Ultrà haben muss, um einen wichtigen Teil zu dem Gesamtbild beitragen zu können, das von den Ultras gesteuert wird. Wir in Italien haben uns abgesondert, wir haben vergessen, wie wichtig es ist zusammen zu arbeiten und dabei sehr viele Unterstützer für unsere Sache verloren. Es ist unnötig weitere Worte zu verlieren, man muss verstehen, dass die Menschen im Grunde ins Stadion gehen um Spaß zu haben. Es ist wahr, wir haben verglichen mit ihnen viel mehr Einschränkungen und Verbote, angefangen bei Auswärtsfahrten bis hin zu Tifo-Materialien wie Megafonen, Trommeln und Fahnen. Aber ich denke, dass man das auf lange Sicht auch als Ausrede missbrauchen kann. Wie kommt es, dass bei den Bayern auch fünfzigjährige Frauen mitsingen und hüpfen, während bei uns die fünfzehnjährigen Jungs mit geschlossenem Mund auf dem Geländer sitzen mit dem Gesichtsausdruck eines altgedienten Ultrà?
Ok, vielleicht werden sie nie eine der Fangruppen sein, die einen gewissen Nimbus haben und die von anderen gefürchtet wird. Aber wäre es manchmal nicht besser, auf den einen oder anderen Zwischenfall (die zugegebenermaßen selten geworden sind) zu verzichten, um der Sache, die wir geschaffen und teilweise auch zerstört haben, wieder neues Leben einzuhauchen? Jeder kann seine eigenen Schlüsse daraus ziehen, ich komme aber nicht umhin, zum ersten Mal den Hut vor einer deutschen Fanszene zu ziehen und ihr zu applaudieren.
Doch, wie bereits erwähnt, verdient auch die Südkurve heute Abend mehr als Lob. Der Tifo während einer bereits lange verlorenen Partie und der Applaus für das Team nach dem Schlusspfifs symbolisieren wie tief die Bindung an die Farben des Vereins ist. Zu oft beschreiben so genannte Journalisten Rom als einen Ort, wo man nicht Fußball spielen kann und Fans entweder martialische Killer sind oder nichts können außer ewig zu streiten. Das soll nach dem heutigen Tag mal jemand wiederholen.
Es war ein normales Spiel, das bei mir im Vorfeld keine große Begeisterung ausgelöst hat, wird aber in die Geschichtsbücher eingehen als großes Duell auf den Tribünen, weniger auf dem Rasen. Ich schließe diesen Text mit einer letzten Momentaufnahme der beiden Kurven die, auf ihre Art und Weise, ihre Zugehörigkeit stolz unter Beweis gestellt haben. Wenn wir noch eine Zukunft haben wollen, müssen wir Hochmut, Arroganz und Eitelkeit beseitigen und wieder zur Bescheidenheit zurückkehren. Auch denen gegenüber, die nicht wie wir denken. Nur gemeinsam können wir das Gute schaffen.