Es gibt im Jahr wohl wenige Termine, denen der ambitionierte Bayern-Anhänger ähnlich entgegenfiebert, wie dem der Auslosung zur Gruppenphase des Europapokals der Landesmeister, Zweit-, Dritt-, und Viertplatzierten. Viele Fans anderer Vereine würden hier wohl darauf hoffen, ihren Verein einmal in einer legendären Spielstätte wie dem Nou Camp oder Old Trafford auflaufen zu sehen. Bei uns ist das mittlerweile etwas anders gelagert. Keine Frage, unsere Passion für den Henkelpokal ist ungebrochen. Ein jedes unserer Mitglieder hat zwei verlorene Finals im Stadion miterlebt. Das Endspiel in Fröttmaning war das Barcelona 99 der jüngeren Generation. Diesen Pokal endlich wieder einmal an der Säbener Straße zu sehen, ist der absolute Traum von uns allen. Gleichzeitig haben wir aber das Privileg, unseren Verein so gut wie jedes Jahr die Klingen mit den Topklubs Europas kreuzen zu sehen. Es ist zwar traurig zu sagen, aber man stumpft in dieser Hinsicht ab. Ein Kribbeln stellt sich für uns erst ab der KO-Phase ein. Für die Gruppenphase ist „Weiterkommen“ hier in München eben die gängige Erwartungshaltung.
Die Faszination der Gruppenspiele liegt für uns vor allem darin, dass es unsere einzige Chance im Fußballjahr ist, dem Wahnsinn des gegenwärtigen Profifußballs zu entfliehen und trotzdem unseren Farben zu folgen. Wir wissen selbst, wie abstrus dies klingt, schließlich spielen wir weiterhin in Europas Geldliga. Es ist aber eine Gelegenheit, mal in einem Gästeblock zu stehen, in dem der Großteil der Anwesenden Singen und Anfeuern als selbstverständlich erachtet. Mal eine Auswärtsfahrt zu unternehmen, bei der nicht alles bis ins Detail vorhersagbar ist. Mal in Städte zu kommen, die nicht jeder Reiseveranstalter im Pauschalangebot hat. Sich auch mal mit eher unbekannten Fanszenen zu messen oder gar einer legendären Kurve gegenüberzustehen. Selten kann man alles auf einmal bekommen, aber die letzten Jahre dürfen wir uns nicht beschweren. Mit Steaua Bukarest, Maccabi Haifa und CFR Cluj waren wir in Orten zu Gast, wo noch nicht jeder seine Farben vertreten konnte. Mit Girondins Bordeaux, dem FC Basel, der Roma und der SSC Napoli begegneten uns interessante Fanszenen.
Auch im August 2012 hoffen wir alle wieder auf ein Schmankerl, dementsprechend sitzt jeder rechtzeitig zum Beginn der Auslosung vor einem Fernseher, dem Live-Ticker seines Vertrauens oder wird über Handy auf den aktuellen Stand gebracht. Die Auslosung beginnt. Wir bilden den Kopf in Gruppe F. Als erster Gegner steht Valencia fest. Ein Kontrahent, mit dem wir alle traumhafte Erinnerungen verbinden – der 23. Mai 2001 war wohl für alle von uns der größte Moment in im Fanleben. Passt schon, hätten wir schlechtere Lose aus diesem Topf bekommen können – auch sportlich. Als nächstes stößt der OSC Lille zu unserer Gruppe. Es ist wie ein elender Fluch, wir werden wohl niemals in Griechenland spielen. Alles Daumen drücken für Piräus hat nichts genützt. Das letzte Kräftemessen im Europapokal mit einer türkischen Mannschaft liegt auch schon über eine Dekade zurück, Galatasaray wäre als Los also auch mehr als willkommen gewesen. Na ja, wenigstens kann man nach Lille halbwegs kostengünstig anreisen, das heißt, fast der gesamten Gruppe wird es möglich sein, mitzufahren. Zum Abschluss dann Topf vier, wo ein besonders spannender Gegner wartet: BATE Baryssau aus Belarus. Nachdem einige Kugeln gezogen sind, verbleiben nur noch zwei mögliche Destinationen für unseren FC Bayern. Entweder wird es ein erneutes Rendezvous mit dem transylvanischen Biervampir bei den Eisenbahnern von CFR Cluj, die durch die Finanzspritze ihres Besitzers Arpad Paszkany zu Stammgästen auf der europäischen Fußballbühne geworden sind, geben oder wir folgen erstmals den Rothosen nach Weißrussland…
Genau letzteres sollte es dann werden und umgehend wurden die Rechner angeworfen, um der Homepage der weißrussischen Botschaft einen Besuch abzustatten. Der ein oder andere Hänger vermerkte sich schon mal im Kopf, dass der erste Gang in der Früh zum nächstgelegenen Bürgerbüro führen würde – Expressreisepass beantragen. Zuerst hieß es aber wieder warten Zuerst hieß es aber wieder warten. Aufgrund der Interessen der Fernsehsender vergeht ja einige Zeit bis wir die endgültige Terminierung der Partien erfahren. Freilich wollte niemand direkt am ersten Spieltag nach Belarus fahren, da dies Stress bei Visumsbeschaffung und eventuell zusätzliche Gebühren bedeutet hätte. Die Ansetzung auf den zweiten Spieltag verschaffte uns hier aber ein komfortables Zeitpolster.
Derweil wurden alle möglichen Anreisewege diskutiert. Klar wählten manche den Luftweg, für andere war sofort klar, dass sie sich von Bremen per Regionalbahn und Bus nach Minsk begeben würden – we are always on a budget. Parallel fanden sich aber sofort viele Stimmen, die sich europapokalgerecht für eine Anfahrt mit dem Bus aussprachen.
Die nächsten Wochen wurde mehrfach mit dem Konsulat telefoniert, Reisepässe sowie Visumsanträge gesammelt und sich über eine gute Nachricht gefreut: Entgegen der üblichen Gepflogenheiten war es nicht nötig, eine Hotelreservierung bei Beantragung des Visums vorzulegen, wenn man nachweisen konnte, nach dem Spiel das Land zügig wieder zu verlassen. In diesem Fall reichte die Eintrittskarte zur Erlangung des Aufklebers. Für das Gruppenvisum waren dann letztendlich nur zehn Euro pro Person fällig. Ein Preis, den im ersten Augenblick sicher niemand so günstig erwartet hätte.
Es war also alles angerichtet. Keine 24 Stunden nach der Rückkehr aus Bremen sollte das Abenteuer Weißrussland beginnen. . Es gibt wohl kaum einen erhabeneren Moment, als den Augenblick in dem man seine Wohnungstüre schließt und weiß, dass man die nächsten drei Tage damit verbringen wird, seinem Verein durch Europa zu folgen. Dass man gleich in eine eigene Zeitzone eintritt, in der das Alltagsleben der restlichen Menschen komplett ausgeblendet wird. Die Vorfreude, den Ball in einem fernen Land rollen zu sehen und seine Farben an einem fremden Ort nach vorn zu schreien. Wir könnten hier jetzt endlos Punkte aufzählen, welche Glücksgefühle einem eine solche Auswärtsfahrt beschert, aber aus der Zeit der pathetischen, selbstbestätigenden Texte wächst unsere Bewegung ja glücklicherweise langsam raus. Kleine Rückfälle wie dieser hier bestätigen die Regel.
175 Euro mussten für den Bus entrichtet werden, in dem uns die Kutscher im Gegenzug aber auch alle Freiheiten gewährten. Die Reihen waren beinahe voll besetzt. Ungefähr die Hälfte hiervon belegten Mitglieder unserer Gruppe. Auf dem Rest lümmelten Bayernfans aus den anderen Gruppen und Fanclubs der Südkurve, gruppenlose Ultras sowie zwei Freunde von USP.
Die erste Überraschung erwartete die Mitfahrer direkt zum Start der Reise. Ein Schickeria-Mitglied hatte den letztmöglichen Abgabetermin für seine Abschlussarbeit an der Uni verschusselt und musste deshalb fünf Stunden nach Busabfahrt beim Prüfungsamt auflaufen. Da er aber auf dem Gruppenvisum der Busfahrer dabei war, gab es keine alternative Anreisemöglichkeit zum Spiel für ihn. Kurz vor der polnischen Grenze legten wir dementsprechend eine lange Pause ein, um auf unseren Absolventen zu warten, der in halsbrecherischer Manier versuchte, mit dem Auto fünf Stunden Rückstand auf den Bus einzuholen. Eine gute Gelegenheit, sich einmal durchs Bierregal der feinsten Tankstelle Deutschlands zu trinken, dem Laster des Glücksspiels zu frönen oder selbst gegen das runde Leder zu treten. Bei dieser Pause erreichte uns leider auch die erste Hiobsbotschaft des Tages. Mehreren Bayernfans, darunter auch Mitgliedern unserer Gruppe, war am Frankfurter Flughafen die Ausreise verweigert worden. Diesmal jedoch nicht wie sonst üblich aufgrund der bekannten staatlichen Repressionsmechanismen, sondern aufgrund eines fehlenden russischen Transitvisums. An sich würde man von einem unverzeihbaren Anfängerfehler ausgehen, jedoch war zweimal beim russischen Konsulat nachgefragt worden, ob bei einem Umstieg am gleichen Flughafen ein Transitvisum notwendig sei. Dies wurde beide Male verneint. Der Konsulatsbeamte vergaß jedoch zu erwähnen, dass diese Regelung nicht für Weiterflüge nach Belarus gilt. Hier wäre das Visum notwendig gewesen.
Nach drei Stunden Zwischenstopp war die Busbesatzung schlussendlich fast komplett. Nächstes Zwischenziel: Warschau. Dort nochmal schnell die Bustür geöffnet, um einen letzten Fahrgast einzusammeln und an der Tanke die Biervorräte aufzufrischen. Während der Tag ging, kamen Johnny Walker und andere geistige Getränke und Produkte. Im Gegensatz zu sonstigen Touren dieser Länge behielt aber jeder einen halbwegs klaren Kopf. Die große Unbekannte dieser Auswärtsfahrt stand uns schließlich noch bevor und rückte ständig näher. Über die weißrussische Grenze waren im Voraus die wildesten Geschichten kursiert. Von horrenden Schmiergeldforderungen und exorbitanten Wartezeiten war die Rede. Wie so oft in solchen Fällen erwies sich das meiste als heiße Luft. Nach ca. 45 Minuten Wartezeit auf polnischer Seite erreichten wir die weißrussische Grenzstation. Die Zöllner sprachen zwar weder englisch noch deutsch waren aber durchweg freundlich. Nach Geld fragte niemand, es wurde sich lediglich nach Souvenirs erkundigt, die wir in Form von extra eingepackten Fanshop-Schals auch gerne lieferten. Während es für uns zu Fuß durch die Passkontrolle und den Zoll ging, wurden die Busse durchsucht. Da der Grenzposten mitten in der Nacht nur schwach besetzt war, zog sich das Prozedere etwas hin. Nach ungefähr zwei Stunden dürfte auch der letzte Rucksack durchsucht gewesen sein und ein jeder den notwendigen Stempel bekommen haben. Während bei uns also alles unspektakulär von Statten gegangen war, hatten unsere Fahrer schon lustigeres zu berichten. Beim Durchsuchen des Busses waren die Zöllner in höchste Aufruhr geraten. Ein Mitfahrer war mit einem Underberg-Patronengurt ausgestattet gewesen. Der Kräuterschnaps war mittlerweile verzehrt, aber der schicke Patronengurt noch da Die Weißrussen kombinierten also: Wo ein Patronengurt, da auch Munition. Waffenschmuggel! Sofort fingen die Grenzer an, die Innenverkleidungen des Busses wegzuschrauben. Es dauerte anscheinend eine Weile, bis die Fahrer den Weißrussen anhand einer kleinen Flasche erklären konnten, mit welcher Art Munition der Gürtel bestückt gewesen war.
Da dieses Problem auch aus der Welt geschafft war und die Busfahrer für uns die obligatorische Krankenversicherung im Wert von zwei Euro abgeschlossen hatten, konnte die Fahrt ins Innere der Republik Weißrussland beginnen. Wir hatten eigentlich vermutet auf den zweiten vom Fanclub Waldkirchen organisierten Bayernbus warten zu müssen, der kurz hinter uns die Grenze erreicht hatte, aber der Schlagbaum ging hoch und wir hatten grünes Licht. Der hintere Teil des Busses feierte derweil schon seinen Sieg über die Grenzer mit einem lauten „Ganjajugend chillt überall, wo Du auch spielst,…“.
Ab der Grenze wurden wir stets von einem Polizeifahrzeug begleitet. Die Straße war sehr gut ausgebaut. Wir hatten uns wesentlich schlechtere Verhältnisse erwartet. Auf den nun folgenden 300 Kilometern bis Minsk kaum Lebenszeichen, ein paar wenige Dörfer, sonst zum größten Teil Natur pur. Gegen 8 Uhr hatten wir schließlich die Kapitale der nach landläufiger Meinung letzten Diktatur Europas erreicht. Die Hauptstadt begrüßte uns dann in Form von Plattenbauten. Darauf war man freilich eingestellt, wesentlich mehr überraschte die Tatsache, dass durchweg alle Gebäude an denen wir vorbeifuhren zumindest der Fassade nach einen modernen und sehr gepflegten Eindruck machten. Minsk präsentierte sich uns noch geschleckter als München. Auch Bayernfans, die sich etwas länger im Land aufgehalten hatten, berichteten, dass alles extrem ordentlich wirkte. Klar gab es auch etwas ältere Viertel, aber gerade in der Innenstadt war auf der Straße kaum ein Fitzelchen Müll zu sehen und wo doch, kehrte es in kürzester Zeit ein Arbeiter. Bürger als Straßenreiniger zu beschäftigen mag Teil der Patronagestrategie Lukaschenkos sein, auf jeden Fall wirkte diese übertriebene Sauberkeit absolut surreal. Auch wenn wir uns nach einem solch kurzen Aufenthalt sicher kein Urteil über die Lebenswirklichkeit in Belarus erlauben dürfen, erweckte es auf uns den Eindruck, als sei das alltägliche Leben stark vom Sicherheitsapparat durchdrungen. Uniformierte Sicherheitskräfte waren im Bereich der Innenstadt allgegenwärtig und es wirkte weniger so, als ob der Anlass ihrer Präsenz das abendliche Fußballspiel wäre. Sie traten zwar nicht provokant oder einschüchternd auf, allein ihre pure Masse reichte aber schon um ein wirklich beklemmendes Klima zu schaffen. Die Einheimischen auf den Straßen hielten sich auch penibelst an alle Regeln. Selbst wenn schon mehrere Sekunden kein Auto mehr kam, ging niemand bei Rot über die Straßen … nach Berichten anderer auch nicht mitten in der Nacht. Die Polizei regierte besonders bei Menschenansammlungen äußerst empfindlich. Wann immer größere Gruppen von uns sich irgendwo an einer Straßenecke ein bisschen Zeit ließen, wurde man von der Polizei innerhalb von zwei, drei Minuten aufgefordert weiterzugehen oder sich zu zerstreuen.
Einige von uns hatten das Glück an einem Kiosk einen deutschsprachigen Einheimischen zu treffen. Der erklärte uns, wie groß die Angst vor der Regierung ist. Ein Großteil der Bevölkerung sei gegen den Präsidenten, jedoch würden nur die wenigsten trauen sich auch offen als Oppositionelle zu bekennen. Dies würde im besten Fall den unmittelbaren Verlust des Jobs bedeuten. Ein Risiko, welches kaum jemand eingehen wolle, , besonders nicht in den wirtschaftlichen harten Zeiten die Weißrussland momentan durchlebe.
Wir verlebten den Tag größtenteils in Kleingruppen, die nach ihrem eigenen Plaisir entweder die örtlichen Kneipen inspizierten oder Minsk erkundeten. Die Stadt ist nicht gerade mit großen Sehenswürdigkeiten gespickt. Schon eher fasziniert die überdimensionierte Bauweise vieler Straßen und Gebäude. Das Straßenbild von Minsk entspricht wohl irgendwie den Vorstellungen, die viele Menschen von der Sowjetunion haben. Die zig verschiedenen Uniformen, welche die mannigfaltigen organisatorischen Auswüchse der Sicherheitskräfte widerspiegeln, tragen dazu auch einen Teil bei.
Trotz der langen Spaziergänge durch die Straßen hatten wir abgesehen von einem kleinen unverständlichen aber eher unfreundlichen Gespräch mit einem jugendlichen Jogginghosenträger keinerlei Berührungspunkte mit den heimischen Fanszenen aus Minsk. Im Nachhinein mussten wir allerdings übers Internet erfahren, dass eine Bayernfahne in Minsk blieb.
Knapp drei Stunden vor Spielbeginn sammelte sich der junge Südkurvenhaufen in einer Kneipe nahe dem Platzes der Republik und brach von dort aus in Richtung Stadion auf. Knapp 100 Leute dürften beim Spaziergang zum Stadion dabei gewesen sein. Miliz und Polizei begleiteten zwar, machten uns aber keine Vorschriften oder versuchten sonst irgendwie zu kommunizieren.
Erste Probleme traten bei den Einlasskontrollen am Stadion auf. Die Kontrolle der 20 Euro teuren Karten verlief noch ohne Beanstandungen. Auffällig war lediglich eine Kamera auf einem Stativ, die jeden Zuschauer beim Betreten des Stadion abfilmte. Ist in Deutschland zwar nicht viel anders, da sticht einem die Kamera aber nicht so direkt ins Auge. Der Weg zum Gästeblock führte anschließend durch einen Polizei-LKW, in dem mehrere Polizisten Mensch und Material gründlich abtasteten. Nach dem Container gab es eine weitere Kontrollstelle, an der die Aufschrift der einzelnen Fahnen überprüft wurde. Hier fuhren die Sicherheitskräfte (was jetzt Polizei und was Armeeeinheiten waren, war für den Laien nicht erkennbar) eine klare Linie. Sämtliches Material mit der Aufschrift Ultra war verboten. Eine Übersetzerin erklärte dies damit, dass „Ultra“ per se faschistisch sei. Weitere Ausführungen gab es nicht. Da eine Machtprobe mit den weißrussischen Militärkanten nie zur Diskussion stand, mussten wir auf einen guten Teil des mitgebrachten Materials verzichten. Dies sollte aber nur der Startschuss für weiteren Zirkus sein. Nachdem so gut wie die gesamte Fanszene ihre Fahnen am Zaun platziert hatte, kam ein neuer Befehl. Dieser lautete, dass nur Zaunfahnen auf kyrillisch bzw. russisch und weißrussisch erlaubt wären. Dementsprechend müsste alles wieder abgehängt werden. So abstrus die Regelung klingt, beim Qualifikationsspiel zum Uefa-Pokal zwischen FK Sarajevo und Levski Sofia muss es ja relativ ähnlich gewesen sein, nur eben mit einem Verbot für alles Kyrillische. Nach langer Beratung und immer intensiverem Drängen des Militärs und einer mittlerweile relativ verzweifelten Übersetzerin wurde gemeinsam mit den anderen Bayernfans entschieden, die Fahnen abzuhängen. Nachdem die letzte Fahne vom Zaun war, begann die Polizei – wiederum ohne Widerstand unsererseits – den Block zu räumen. Sie wollte nun, dass die Fahnen aus dem Stadion gebracht werden. Für uns der Zeitpunkt, mal jemanden mit der Fahne aufs Dixie zu schicken. So hielt man sich die Option offen, die Fahne ab Anpfiff in den Händen zu halten. Außerdem hieß die Strategie ab jetzt ohnehin Zeitspiel. Wir sind ja jetzt auch alle schon ein bisschen rumgekommen in der Welt und vermuteten daher, dass dies nicht zwangsläufig das letzte Wort gewesen sein muss. Mit hoher Wahrscheinlichkeit gab es einen weiteren Kommandanten, der einen Stern mehr auf der Schulter trug und den Befehl wieder rückgängig machen konnte. Eben das passierte auch keine halbe Stunde, so dass der Block zum zweiten Mal beflaggt werden konnte.
Die ersten Reihen des Blocks wurden freigelassen, so dass jeder freien Blick aufs Spielfeld hatte. Insgesamt dürften 350-400 deutschsprachige Bayernfans im Sektor gestanden haben. Bedenkt man, wie einfach es schlussendlich war, an ein Visum zu kommen, für unsere Verhältnisse keine überragende Auswärtsfahrerzahl. In Villareal waren letztes Jahr bei gleicher Entfernung und zwei Wochen kürzerer Planungszeit 800 Bayernfans anwesend. Klar sind Flüge zu spanischen Billigflughäfen leichter zu finanzieren als ein Trip nach Weißrussland, aber auch hier gab es zeit- und kostensparsame Anreisewege, beispielsweise über Vilnius, noch dazu war Mittwoch Feiertag Vom präsenten Gästeanhang entfielen ca. 100 Leute auf die jungen Gruppen der Südkurve und gruppenlose Fans aus unserem Umfeld. 200 Rot-Weiße beteiligten sich durchgehend an den Gesängen. Der Rest feuerte sporadisch und situationsbedingt mit an. Zusätzlich zu den aus Deutschland angereisten Fans waren ca. 150-200 russische Bayernfans anwesend, von denen der Großteil aus St. Petersburg war. Auch wenn diese sehr bemüht waren, muss man natürlich im Endeffekt sagen, dass sie halt doch eher zur Verwässerung des Auftritts beigetragen haben, da sie sich natürlich kaum an den Gesängen beteiligen konnten. Noch dazu nervten ehrlich gesagt irgendwann die Wünsche ein gemeinsames Foto zu machen. Zwei-dreimal lächelt man wirklich noch gern in die Kamera, danach wurde es den meisten aber zu viel. Gerade drei sich abwechselnde Vorsänger können davon ein Lied singen, stellten sie schließlich die begehrtesten Fotomotive dar.
Mit Spielbeginn lernten wir dann, wie die Weißrussen im eher baufälligen Stadion doch Videoüberwachung nach modernsten Standards garantieren können. Sie drückten einfach jedem Hilfspolizisten einen kleinen Camcoder in die Hand. Wie gesagt, auch bei Bundesligaspielen wird man 90 Minuten beobachtet, es ist aber nochmal ein komplett anderes Gefühl, wenn die filmende Person mit der Kamera in der Hand einfach fünf Meter vor dir im Block steht und Du 10 Meter weiter auf der Tartanbahn den nächsten zivilgekleideten Kameramann siehst, der dir direkt in die Fresse filmt. Um die Überwachung vollends auf internationales Niveau zu heben, war auch am oberen Ende des Blocks ein Camcorder auf einem Stativ angebracht. Auch die Gegengerade und der Heimblock wurden nach diesem Muster beobachtet.
Die Sangesmotivation minderte dies auf unserer Seite nicht, wir haben hier aber keine große Lust, unseren eigenen Auftritt zu bewerten. Wir hatten Spaß am Singen und das emotionale spannende Spiel trug auch seinen Teil zu einem guten Fußballtag bei. Klar war man am Ende enttäuscht, gegen eine Mannschaft zu verlieren, deren wir vom spielerischen Potential weit überlegen waren. BATE knockte unser Team mit diszipliniertem, forschem Spiel im Rahmen ihrer Möglichkeiten aus. Ihr Torwart empfahl sich mit einer utopischen Leistung für lukrativere Aufgaben in Westeuropa. Als Bayernfan hat man nach solch ärgerlichen Niederlagen aber immerhin die Gewissheit, dass der Fauxpas beim nächsten Spiel vermutlich ausgeglichen werden kann, weshalb solche Niederlagen durchaus mal zu verschmerzen sind. Als die Spieler allerdings ohne auch nur mal zur Kurve zu schauen in den Kabinengang verschwinden wollten, erhitzten sich die Gemüter nochmal kurzzeitig. Auf Hinweis von Tom Starke zeigten sich lediglich Shaqiri und Kroos noch kurz vor der Kurve. Ein Schalker, der schon jeden Anstand verloren hat, erkannte wohl auch, dass seine Kollegen da grad eine krasse Unverschämtheit abzogen. Traurig, dass es von den Leuten, die über Jahre in unserem Verein groß geworden sind, keiner merkt. Wir attestieren uns selbst eine relativ realistische Einschätzung zum Geschäft Profifußball und wir wissen, dass es die meisten Spieler genau null interessiert, wie lang wir im Bus saßen oder welchen Anteil unseres Monatsgehalts wir ausgegeben haben, um das Spiel zu sehen. Der Großteil der Bayernakteure hat wahrscheinlich schon vor einiger Zeit jeglichen Bezug zur Realität verloren und, wenn sich die Mannschaft ihr Visa selbst besorgen müsste, hätte wahrscheinlich jemand von uns aushelfen müssen, damit überhaupt elf Rote auf dem Feld gestanden hätten. Wie soll es auch anders sein, wenn man seit der B-Jugend als jemand Besonderes behandelt worden ist und viele Entwicklungsschritte eines normalen Jugendlichen gar nicht mitmachen konnte, da man schon mit 16 um die Welt gejettet wurde, um sonstwo an Turnieren teilzunehmen. Die Jungs können ja noch nicht mal viel für ihre Ignoranz. Der Sachverhalt kann hier natürlich nicht adäquat besprochen werden. Kurz gesagt: Wir verlangen von den Spielern bei einem solchen Spiel, ein paar Schritte zur Kurve zu machen. Sie sollen wenigstens so viel Anstand uns gegenüber haben, einen Schein zu wahren. Ein kleiner Funken Respekt dafür, dass man ihnen überall auf der Welt zur Seite steht. Ein winziges Zeichen, dass sie kapiert haben, dass es in diesem Verein auch noch andere Leute gibt, als die unmittelbar mit dem Sportlichen und Finanziellen Beschäftigen.
Während wir über unsere eigene Stimmung nicht viele Worte verlieren wollen, können wir von einem sehr guten Heimanhang berichten. Für BATE war es auch kein echtes Heimspiel, trotzdem umfasste der komplett in gelb gewandete Heimmob um die 800 Leute, die mit eher simplen Melodien lautstark ihre Elf nach vorne peitschten. Der Block war über 90 Minuten sehr geschlossen aktiv und konnte vereinzelt auch die Minsker Landsleute auf den Tribünen animieren. In Halbzeit zwei wurde sich dann vielfach der gelben Leibchen entledigt und oberkörperfrei stand auf dem Programm. Euphorisiert von ihrer Führung drehte der Mob streckenweise total frei. Hätten wir – vor allem in dieser Anzahl – nicht erwartet.
Auffällige Zaunfahnen auf Heimseite waren eine Freundschaftsfahne für Piast Gliwice, eine BATE Ultras Fahne, eine große kyrillische Fahne mit Vereinsnamen, sowie ein BATEFANS Fahne im Lonsdale-Stil. Zusätzlich hing eine serbische Nationalflagge.
Nach dem Spiel durften wir nach nur 20 Minuten Blocksperre zurück zu den Bussen, wo die Bullen klar machten, dass sie uns schnellstmöglich loshaben wollten. Die Rückfahrt verlief unspektakulär. Bei der Ausreise zahlten wir mit 50 Euro unser erstes und einziges Schmiergeld. Nach ca. 23 Stunden hatten wir wieder Münchner Boden unter den Füßen.
Das Abenteuer Belarus war am Ende weniger abenteuerlich gewesen, als wir es uns anfangs ausgemalt hatten. Es waren aber unsere ersten Meter auf dem langen Weg nach London. Seit 11 Jahren träumen wir nun schon wieder vom Europapokal. Mal schauen, wie lange wir diesmal warten müssen, bis der große Traum wahr wird.
Mehr Fotos findet Ihr unter http://suedkurve-muenchen.org/?page_id=212