Interview mit der Horda Azzuro zum Investoreneinstieg

Vielen dürfte die Choreographie, die beim Heimspiel gegen Werder Bremen gezeigt wurde, noch in guter Erinnerung sein. Um Euch die Hintergründe, welche uns zu dieser Aktion geführt haben, näher zu bringen, haben wir ein sehr lesenswertes Interview mit unseren Freunden aus Jena geführt. Aber lest selbst…

Wann und wie habt Ihr von dem Einstieg des Investors erfahren?
Die Mitglieder des FC Carl Zeiss wurden in einem Schreiben informiert, dass die ursprünglich für den 07.12.2013 geplante jährliche Mitgliederversammlung kurzfristig auf den 15.12.2013 verschoben wird. Dieses Schreiben ging bei den Mitgliedern je nach Postzustellung ungefähr am 01. Dezember ein, bei manchen etwas eher, bei manchen etwas später. Somit erfuhren viele die Nachricht als „Lauffeuer“ beim Heimspiel gegen Rathenow am 30.11.13 bzw. durch am gleichen Tag erschienene Presseartikel. Im Schreiben an die Mitglieder wurde darüber informiert, dass der Grund für die MV-Verschiebung der kurz bevorstehende Einstieg eines „strategischen Partners“ sei. Alle nötigen Verbandsprüfungen der Vertragsentwürfe seien bereits positiv beschieden worden und der Vertrag liege unterschriftsreif vor. Es handele sich um einen westeuropäischen Investor, der bereits an anderen Fußballvereinen partizipiert. Auf der MV solle nun über die „Partnerschaft“ entschieden werden.

Was wisst Ihr schon über den Investor, war er evtl. auch schon mal in Jena und hat sich persönlich vorgestellt?
Wie Ihr sicher mitbekommen habt, handelt es sich um den belgischen Multimillionär Roland Duchatelet. Er versucht sich ein europaweites Netzwerk aufzubauen, indem er sich Fußballvereine, je nach Statuten des jeweiligen Landes, in Gänze oder in Anteilen zu Eigen macht. Zu diesem Netzwerk gehören aktuell St.Truiden und Standard Lüttich in Belgien, Charlton Athletic aus England, Ujpest aus Ungarn, Alcoron in Spanien und eben unser FC Carl Zeiss. Den Kontakt hat ein FCC-Fan hergestellt, welcher für eine Erfurter Firma arbeitet, an der Duchatelet ebenfalls beteiligt ist. Interessanterweise wurde noch vor Abstimmung über den Duchatelet-Einstieg genau dieser Kontaktmann als zweiter Geschäftsführer der FCC-Spielbetriebs-GmbH eingesetzt. Roland Duchatelet hat sich auf der Mitgliederversammlung nicht blicken lassen, lediglich ein Grußwort wurde verlesen. In Interviews während der Zeit des Einstieges betonte er sogar, dass der FCC mehr oder weniger zufällig oder willkürlich ausgewählt wurde und er keinerlei Bezug zum Verein habe. Lediglich die tolle Nachwuchsarbeit und der Kontakt zu Chris Förster (eben jener ist nun zweiter Geschäftsführer) haben ihn veranlasst, sein Netzwerk mit dem FC Carl Zeiss zu erweitern. Auch FCC-Spiele hat er vor und nach dem Einstieg gemieden. Erst beim Heimspiel gegen den VfB Auerbach am 12. April war er dann tatsächlich im Ernst-Abbe-Sportfeld.

Wie habt Ihr als Gruppe die Mitgliederversammlung, auf welcher dem Einstieg grünes Licht erteilt wurde, empfunden?
Die Mitgliederversammlung war natürlich geprägt von der bevorstehenden Abstimmung zum Investor-Einstieg. Stundenlang wurde vom damaligen Präsident Zipfel und dem zweiten Geschäftsführer Chris Förster für den Einstieg des Belgiers geworben. Dies geschah auf eine Art und Weise, die höchst fragwürdig erscheint. Zum einen wurde Duchatelet als ein wahrer Edelmann dargestellt: Ein Geldgeber mit Weitblick, der eine absolut seriöse Strategie verfolgt. Zum anderen wurde den Mitgliedern, ohne wirklich konkret zu werden, die Pistole auf die Brust gesetzt. Die finanzielle Situation im Verein und der GmbH lasse keine Alternative zum Einstieg zu. „Hier gehen sonst die Lichter aus“ war oft zu hören, was auch immer das genau bedeuten soll. Anstelle der sonst Jahr für Jahr eingetrichterten Aufbruchsstimmung gab es dieses Jahr nur angebliche Untergangsszenarien. „Alternativlos“ ist schon jetzt das Unwort der Saison in Jena. Zudem wurden Fakten zur Aufteilung von Geschäftsanteilen verschleiert präsentiert und selbst auf Nachfrage von kritischen Fans nicht seriös dargestellt.
Die breite Masse im Saal überzeugte diese Art und Weise dennoch. Ein Redebeitrag unsererseits, der erste kritische Argumente nach stundenlanger Gehirnwäsche aufführte, wurde dann auch gnadenlos niedergepfiffen. Üble Pöbeleien, kurzzeitige Tumulte und eine hiermit verbundene Unterbrechung waren die Folge. Der Beitrag war dadurch kaum inhaltlich wahrzunehmen und zu allem Übel auch noch zeitlich arg eingeschränkt. Es war ein bitterer Moment, bei dem wir einerseits stolz waren, dennoch standhaft unsere Ansichten dargelegt zu haben oder es zumindest versucht zu haben. Andererseits war es unser Plan, kurzfristig im „Überraschungseffekt“, mit inhaltlich starken Argumenten die Stimmung im Saal zu Gunsten eines Wegs ohne Abhängigkeitsverhältnis zu einem Investor zu kippen. Dieser Plan ist ohne Frage deutlich fehlgeschlagen. Natürlich analysiert man im Anschluss sowohl kurzfristige als auch langfristige Vorgehensweisen. Offensichtlich ist es unserer Gruppe in über 12 Jahren nicht gelungen, die FCC-Fanszene oder Mitgliederschaft davon zu überzeugen, dass ein ehrlicherer Weg möglich ist oder zumindest mehr Kritikfähigkeit vonnöten ist. Letztlich stimmten 81% der 650 anwesenden Mitglieder für den Deal mit dem Belgier, was natürlich ein deutliches Votum darstellt. Auch hier dürfen wir nicht die Augen verschließen, dass eine größere Präsenz von Ultras oder uns nahestehenden Personen auf der MV das Ergebnis deutlich positiver gestaltet hätte. Der Anteil an Vereinsmitgliedern in unserem Umfeld muss daher auch als Enttäuschung und Lehre aus diesem Tag eingeschätzt werden.

Was bedeutet der Einstieg wirtschaftlich und organisatorisch für Euren Verein?
Wie bereits oben erwähnt, gibt es seit Bekanntwerden des Deals einen zweiten Geschäftsführer in der FCC-GmbH, der wohl die Interessen des Investors in der GmbH vertreten soll. Dies steht im krassen Widerspruch zu immer wieder propagierten Aussagen, Duchatelet wolle sich ins operative Geschäft nicht einmischen. Der Investor hat für 2 Mio. Euro Geschäfts- und Stimmanteile an der Spielbetriebs-GmbH erworben. Zu dieser GmbH gehören neben dem Regionalligateam auch die „II.“ (5.Liga) sowie die Bundesligamannschaft der A-Junioren. Weitere 4 Millionen (1 Mio. pro Jahr, über 4 Jahre) sind in Aussicht gestellt. Hierbei handelt es sich um ein Darlehen, wobei die Rückzahlung dieses Geldes in 10 Jahren fällig wird. Auch dieser Aspekt wurde lange Zeit nicht klar dargestellt. Sollte das Darlehen in Anspruch genommen werden, droht spätestens zu diesem Zeitpunkt (in 10 Jahren) die Zahlungsunfähigkeit. Duchatelet hat mit 49.98 % den maximal möglichen Anteil an Stimmanteilen der GmbH erworben. Wenn dies auch nicht die Mehrheit ist, besteht dennoch ein krasses Abhängigkeitsverhältnis von einer Person. Man kann deutlich sagen, dass der FCC, im Falle von willentlicher Mitbestimmung des Belgiers, definitiv fremdbestimmt ist. Ein Zustand, der für uns untragbar ist. Der FCC war ein vom Sponsorenpool her breit aufgestellter Verein. Wir wissen, dass sich einige Sponsoren nun überlegen werden, ihr „letztes Hemd“ weiterhin dem Club zu geben, in dem Wissen, dass das Geld auch vom belgischen Investor kommen kann. Dieser Faktor schraffiert ebenfalls ein Argument, welches auf der MV komplett untergegangen ist und unseren Verein erheblich in die Abhängigkeit einer Person drängt.

Bei unseren Besuchen in Jena haben wir den Eindruck einer großen „FCC Familie“ gewonnen. So sind beispielsweise die Kommunikationswege zwischen Fans und Verein sehr kurz. Glaubt Ihr, dass es daran Änderungen geben wird?
Ihr habt Recht, diese kurzen Wege waren und sind ein hohes Gut in unserem Vereinsleben. Viele Probleme konnten so im Vorfeld klein gehalten werden bzw. im Nachhinein gut gelöst werden. Hier waren wir immer offen und waren auch ein stückweit froh, diese Bedingungen jahrelang vorgefunden zu haben. Gesprächsbereitschaft unsererseits war immer selbstverständlich und das wird sich auch zukünftig nicht ändern. Die Führung im Verein weiss das zum Großteil auch zu schätzen und es gab auch nach dem Einschlagen unseres „aktuellen Weges“, dem Verzicht auf optischen und akustischen Support aufgrund der nicht tragbaren Lage, bereits Gespräche. Wir würden uns natürlich wünschen, dass diese kurzen Wege erhalten bleiben. Es gibt aber auch immer wieder Ausreißer, bei denen man sich fragt, warum Präsident, Trainer oder Spieler nun in der Presse über unseren Stimmungsverzicht philosophieren müssen, anstatt auf uns zuzukommen.

Bei Euch gibt es deutlich mehr Möglichkeiten, den Verein aktiv mitzugestalten. Beispielsweise hat sich die Fanszene um das Design der offiziellen Fanartikel gekümmert. Werden solche Projekte in Zukunft auch noch möglich sein?
Eine gute Frage, welche wir uns auch gestellt haben. In der Tat haben wir das Merchandising in der letzten Saison mit einer eigenen Kollektion unterstützen können. Die erwirtschafteten Einnahmen kamen dem FCC zugute, wir kümmerten uns um Bestellung und Verkauf. Gerade Aktionen wie diese werden zukünftig nur schwer zu realisieren sein. Jeder Euro, den wir für den „Verein“ erwirtschaften/spenden/mobilisieren, kommt am Ende zu Großteilen dem Investor zugute. Dies hängt mit Geschäftsanteilen zusammen, auf die wir hier noch nicht einmal näher eingegangen sind. Kurzum, man muss schon kreative Wege finden, um Aktionen und Projekte weiter durchführen zu können. Spinnt man den Gedanken weiter, könnte man zu dem Schluss kommen, dass selbst der Erwerb der Eintrittskarten hier nicht in Einklang mit unserer Haltung zu bringen ist. Fernbleiben und damit Verein und Kurve dem eigenen Schicksal zu überlassen kam für uns jedoch auch nicht in Frage.

Welche Schritte wurden bisher unternommen, um auf den Einstieg zu reagieren?
Zunächst war, wie Ihr Euch vorstellen könnt, der Einstieg Ende des letzten Jahres ein Schock. Das musste jeder, der von einem ehrlicheren Weg ohne dieses in hohem Maße von Abhängigkeit geprägten Verhältnis überzeugt ist, erst einmal verdauen. Auch stand ein Stimmungsverzicht, welcher ja augenscheinlich die einschneidendste Reaktion ist, nicht unmittelbar fest. Erst nachdem wir alles „sacken lassen“ konnten, begriffen wir, was hier eigentlich geschehen war und in welchem Dilemma wir uns befinden. Deutlich wurde, dass selbstverständlich keiner zufrieden mit der entstandenen Situation war und dass nicht einfach so weitergemacht werden konnte. Der Stimmungsverzicht war dann Konsens unserer Gruppe a) weil es uns nicht mehr möglich ist, das entstandene Konstrukt in gewohntem Maße zu unterstützen und b) natürlich auch, um ein Zeichen des Protestes zu setzen. Bewusst wurde von uns kommuniziert, dass es sich um keinen Boykottaufruf handele, sondern eben um einen Verzicht der gewohnten Mittel.
Wie bereits angedeutet, war die Mitgliederversammlung eine große Enttäuschung für unsere Gruppe, aus der wir unsere Lehren ziehen und verstärkt die Mitgliedschaft in unserem Verein bewerben werden. Was zunächst paradox klingen mag, soll allerdings auch als Zeichen interpretiert werden, dass wir unseren Verein längst nicht aufgegeben haben. Mit mehr Mitgliedern haben wir in Zukunft die Möglichkeiten, Entscheidungen zu Ungunsten des Vereins abzuwenden bzw. längerfristig gedacht, den Verein wieder so zu gestalten, dass wir ihn uneingeschränkt unterstützen können, auch aus der Kurve heraus.
Ein verstärktes Engagement in Gremien und Initiativen ist ebenfalls mit demselben Hintergrund angestrebt.

„Überzeugungsarbeit“ ist ein Schlagwort, welches in unseren Kreisen in den Wochen und Monaten nach dem Einstieg Duchatelets an enormer Bedeutung gewonnen hat. Zunächst galt es, unser unmittelbares Kurvenumfeld für unseren „neuen Weg“ zu begeistern. Wir besuchten Sektionen, Fanclubs, regionale Vertretungen aus dem Umfeld, erklärten unsere Sicht und warben für deren Unterstützung. Dies gelang in unserem Umfeld recht gut, sodass wir den harten Kern der Südkurve Jena hinter uns wissen. Es ist ein wichtiger Fakt, um längerfristig auch eine größere Masse an Zeissfans aus anderen Stadionteilen zu überzeugen, dass es einen vernünftigen Weg mit ehrlicher Arbeit geben kann, ohne sich in die Investor-Abhängigkeit zu begeben. In diesem Zusammenhang gründeten wir den „Südkurve-Rat“, an dem die besagten Gruppen partizipieren und Informationen/Ideen ausgetauscht werden können. Natürlich nutzen wir auch unsere sonstigen Kommunikationswege, um a) zu informieren und Sichtweisen darzustellen und b) zu überzeugen. Der Bratwurstdealer mit seiner Rubrik „Unbeugsam und Unverkäuflich“ genießt hier hohen Stellenwert.
Wir informierten uns über die Auswirkungen des Kaufs von Standard Lüttich bei den dortigen Ultras von UI96 und gaben diese Infos in der Hoffnung weiter, dass Duchatelet sich hier nicht in diesem Maße einmischen wird. Hintergrund ist natürlich auch hier aufzuzeigen, welche Auswirkungen ein solcher Einstieg in sich birgt.
Plakativ haben wir auf seinen Besuch beim Heimspiel gegen Auerbach reagiert, von dem wir sehr kurzfristig erfuhren. In der Südkurve wurde die Botschaft „IN 5 JAHREN 2.LIGA? IN 10 JAHREN BANKROTT! WER ZAHLT DIE RECHNUNG? NOTRE CLUB N´EST PAS UN JOUET! DUCHATELET CASSE TOI“ präsentiert. Unser Club ist kein Spielzeug, Duchatelet verpiss dich!
Natürlich ist gerade der Prozess der Reaktion auf den Investor-Einstieg ein erstens höchstwahrscheinlich langwieriger, aber zweitens natürlich auch vielschichtiger. Deshalb würden wir uns freuen, der Südkurve München regelmäßig über die Entwicklungen in unserer Situation berichten zu dürfen und bedanken uns für das Interview und VOR ALLEM! für die unglaubliche Solidarität!

An dieser Stelle nochmal vielen Dank nach Jena für die ausführliche Beantwortung unserer Fragen!
GEMEINSAM KANN UNS KEINER BEZWINGEN – DER VEREIN GEHÖRT DEN FANS