Der Rucksack war schon aus der Ecke rausgekramt, aber bevor man sich guten Gewissens ans Packen für Marokko machen konnte, musste ja in der Bundesliga noch die Herbstmeisterschaft unter Dach und Fach gebracht werden.
Damit man sich im Vorfeld des Spiels aber nicht schon zu sehr mit der anstehenden Reise beschäftigt, sorgte die Polizei nochmal für etwas organisatorischen Aufwand, indem sie dem Fanprojekt verbot, den Streetworkbus als Treffpunkt für dieses Spiel bereitzustellen. Nervig, aber gut, wir können es nicht ändern. Richtig lustig wurde es dann allerdings, als die Bullen versuchten, über den Verein an uns heranzutreten um in Erfahrung zu bringen, was wir denn jetzt alternativ vorhätten, nachdem sie uns den Streetworkbus genommen haben? Liebe Leute, verarschen können wir uns dann immer noch selbst am besten. Danke für dieses prima Beispiel, was die Exekutive unter Dialog versteht.
Am Ende wurde die Situation recht unkompliziert gelöst. Bus gebucht, auf Parkplatz rollen lassen und gut war’s. Stand halt ein anderer Bus da. Lecker Bier gab’s trotzdem und da bereits seit Freitag viele Freunde von USP in der Stadt waren, machte das Anstoßen ganz besonders Spaß bzw. fiel dem ein oder anderen noch etwas schwer. Erstmals seit Wochen ging es dann wieder ziemlich geschlossen in Richtung Stadion. Seht ihr Freunde, es geht doch. Machen wir die nächsten drölfzig Heimspiele nicht anders und dann passt das und ihr werdet nie wieder was im Spielbericht drüber lesen.
Auf dem Feld war die Mannschaft dann erstmal noch im Manchester-Modus und der HSV bot gut Paroli. Unsere Roten erspielten sich dann aber langsam aber sicher das gewohnte Übergewicht und folgerichtig konnte Mario Mandzukic nach einer Kroos-Flanke und technischer Meisterleistung von Rafinha das 1:0 markieren. Kurz nach der Halbzeit erhöhte Götze und hätte unsere Elf dann nicht massiv das Gas weggenommen, wäre das Spiel wohl locker nach Hause geschaukelt worden. So wurde es gegen Ende dann nochmal kurz spannend.
Stimmungstechnisch setzte sich der leichte Aufwärtstrend vom letzten Bundesligaheimspiel wieder fort und die Kurve präsentierte sich nicht annähernd so desolat wie noch wenige Tage zuvor gegen Manchester….
In der Südkurve gab es heute vier Spruchbänder von unserer Gruppe. Ziemlich zu Beginn zeigten wir: „Aus Fehlern lernen – Keine Testspiele gegen Scheiß Red Bull“. Das Spruchband hatte natürlich eher nachholenden Charakter, denn das nächste Gastspiel unserer Roten beim Matteschitz-Klub in Salzburg war ja bereits vereinbart worden. Die Thematik Red Bull und Fußballgeschäft, der Umgang der Firma mit dem ehemaligen Austria Salzburg und das Projekt Red Bull Leipzig dürften der absoluten Mehrheit der Leser unserer kleinen Gazette vertraut sein. Ich erspare Euch deshalb eine langwierige Erklärung, wieso wir es nicht gut finden, dass unser Verein mit Testspielen dieses Projekt immer weiter pusht.
Das nächste Spruchband war den neuen Stadionverbotsrichtlinien des DFB gewidmet. „Neue Stadionverbotsrichtlinien? Ein Jahr nach 12:12 – ein Schlag ins Gesicht“.
Sei es die erneute Erhöhung der Maximaldauer von Stadionverboten auf fünf Jahre, die Einführung neuer „Tatbestände“, die ein SV nach sich ziehen oder der Plan, Daten von Stadionverbotlern zukünftig an die UEFA und FIFA weiterzuleiten. Die Ende 2012 getätigten Aussagen , à la „es wird sich mit dem Sicherheitspapier nichts negativ für die Fans ändern“ waren das Papier nicht wert, auf dem sie veröffentlicht wurden. Wohin der Trend bei DFB, DFL und Vereinen wirklich geht, zeigt sich in der neuen Möglichkeit, Stadionverbote auch für „die Menschenwürde verletzendes“ Verhalten zu vergeben oder die „aktive Unterstützung“ des Zündens von Pyro z.B. durch Schwenken einer Fahne, die den Kameras die Sicht verdeckt, zu sanktionieren. Klinisch reiner Fußball, ohne „Schiri, Du Arschloch“ und Beleidigung des Gegners. Klar braucht man das beim Fußball nicht unbedingt, für uns ist es aber trotzdem Teil der Folklore, die den Volkssport Fußball ausmacht. Dass man mittlerweile aus den verschiedensten Ecken der Republik von den ach-so-unwahrscheinlichen Nacktkontrollen gehört hat, setzt der Heuchelei mancher Offizieller noch die Krone auf.
Gegen Ende des Spielfelds erlaubten wir uns dann schon mal einen kleinen Seitenblick auf den Weltpokal. Auf einem großen Doppelhalter waren die Cartoon-Mäuse Pinky und Brain zu sehen. Jede Episode dieses Cartoons endete mit dem selben Dialog. Pinky fragt: „Was machen wir denn morgen abend, Brain?. Die Klügere der beiden Mäuse antwortet: „Dasselbe wie wir jeden Abend machen, Pinky. Wir versuchen, die Weltherrschaft an uns zu reißen.“ Dieses Leitmotiv aufgreifend fragten wir „Was machen wir denn nächste Woche? – Wir versuchen, die Weltherrschaft an uns zu reißen!“ Die Vorfreude auf Marokko war auch einfach riesig. Klar hat dieser Pokal in Deutschland nicht all zu große Bedeutung, aber wer findet es nicht großartig, seinen Verein in einem Turnier mit Mannschaften aus aller Welt verfolgen zu können. Und wenn man dann am Ende auch noch Nummer 1 der Welt werden kann, dann nimmt man den nächsten Cup auch noch gerne mit. Im Gegensatz zu den beiden weißen Mäusen scheitert der große FC Bayern bei diesem Vorhaben natürlich nicht.
In der Halbzeit zeigten wir ein weiteres Spruchband, das im Nachgang für einige Diskussionen sorgte. Leider nicht in der von uns intendierten Art und Weise.
Wir wollten darauf aufmerksam machen, dass Ende November ca. 150 Lazio-Fans vor ihrem Europapokalspiel in Warschau festgenommen worden waren und von ihnen zum Zeitpunkt unseres Spiels gegen den HSV immer noch 22 in Haft saßen. Natürlich gehen die Versionen über das Geschehene auseinander, das zu den Inhaftierungen führte. Es gibt Berichte, dass der Marsch der Lazio-Ultras und Fans von Legia-Leuten attackiert wurde. Dies scheint dann zu Auseinandersetzungen zwischen Laziali und polnischer Polizei geführt zu haben, die mit der Festnahme von 150 Lazio-Ultras und Fans endeten. Wer eine solche Situation schon mal erlebt hat, kann sich vorstellen, dass die Polizei nicht nur beteiligte Personen festgesetzt hat, besonders wenn man sich die große Zahl der Inhaftierten anschaut. Eine solche Situation an sich wäre (leider) noch nichts groß besonderes sondern traurige Realität für Fans in unserer Zeit gewesen, wären die inhaftierten Laziali – immerhin 1/3 aller angereisten Personen aus Rom – nach dem Spiel in ihre Busse nach Hause gesetzt worden. Stattdessen wurden sie auf unbestimmte Zeit inhaftiert und durften teilweise tagelang keinen Kontakt zu Anwälten oder Familie aufnehmen. Ein in Bezug auf Menschen- und Bürgerrechte untragbarer Vorfall. Aber mit Fußballfans kann man das ja machen … Anscheinend konnten auch nach und nach nur diejenigen die Haft verlassen, die eine hohe Kaution bezahlen konnten und wollten, die diejenigen wohl nie wieder sehen werden. Genauso wenig wie sie wohl jemals etwas zu einer rechtlichen Grundlage der Inhaftierung hören werden oder eine gerichtliche Klärung ihrer individuellen Schuld stattfinden wird.
Zu dem Spruchband hat uns natürlich keinesfalls irgendeine Form von Sympathie für die Kurve der Laziali bewegt, die einen wirklich ekelhaften politischen Hintergrund hat, der sogar über das in Italien übliche „Labeling“ als rechte (oder in inzwischen leider viel zu wenigen Kurven als linke) Kurve klar hinausgeht. Da bewegen sich organisierte Neonazis, da gibt es mehr als eindeutige Symbolik, da gibt es Spruchbänder mit unbegreiflichem Inhalt. Vielmehr sind die Betroffenen nicht aufgrund ihrer Weltanschauung oder irgendeiner Manifestation selbiger in diese Situation gekommen, sie wurden schlichtweg verhaftet, weil sie Fußballfans sind, weil man es mit Fußballfans machen kann und weil es eine Message an ALLE Fußballfans war: „Wir machen mit Euch, was wir wollen, weil es uns nicht passt, was ihr seid.“ Es hätte genauso gut Fans aus Bergamo oder Genua erwischen können. Es hätte uns erwischen können. Vielleicht haben wir auch deswegen das Bedürfnis gehabt, uns zu dieser in Deutschland kaum beachteten Situation zu äußern, weil wir auf unseren unzähligen europäischen Reisen durchaus auch in eine solche Situation kommen könnten.
Der Text zu dem Spruchband ist jetzt doch etwas länger geworden. Wir haben uns ja auch im Vorfeld mehr als schwer getan, diese Problematik in die Kürze eines Spruchbands zu packen, sie ist ja doch etwas komplexer. Wenn man sieht, dass nachdem wir das Spruchband gezeigt haben, eigentlich niemand über die Thematik selber und einige über die Ausdrucksweise diskutieren, die Presse, die in letzter Zeit so gut wie alles aus unserer Kurve aufgreift, sich nicht damit beschäftigt, dann muss man sehr darüber nachdenken, ob man die richtigen Worte gefunden hat.
Ein großes Dankeschön geht an über dreißig Freunde aus dem braun-weißen Hamburg, die am Montag drauf noch gleich drei Punkte von unserem Untermieter entführten, während der Großteil von uns schon in Richtung Marokko unterwegs war.
Die Bilder vom Heimspiel gegen den HSV gibts hier zu sehen.