Die Weisheiten des Konfultrius

Die älteren Leser des Südkurvenbladdls werden sich noch an diese Rubrik erinnern, unter der wir bis vor ein paar Jahren lesenswerte Statements aus der Welt der Ultras zusammengefasst haben. Wir wollen ab dieser Ausgabe den Konfultrius wiederbeleben, er soll zum Nachdenken, Schmunzeln und über den Tellerand blicken anregen. Als Startschuss haben wir ein etwas längeres Statement aus der Beziehungskiste aus Zwickau ausgesucht – vielmehr als ein Statement ist es ein Reisebericht, der aus unserer Sicht aber zum einen die Faszination, die Ultras versprühen kann, wunderbar beschreibt, und zum anderen auch die Begeisterung des Autors für diese Faszination sehr schön widerspiegelt.

Turris vs. Sassari Torres
So. 14.04.13 / 5. Liga Italien


Torre del Greco! Eine Stadt im 4Mil. Speckgürtel von Neapel. Am Hauptbahnhof in die Circumvesuviana (Eine Art Metro/S-Bahn; bekannt als die schlechteste ihrer Art in ITA) gewechselt und ab ins verrückte Gebiet. Raus aus dem Bahnhof waren die Straßen schon voller Tifosi. Überall Fahnen, Gesänge, Jugendliche rasend auf Rollern. Alle voller Vorfreude auf das heutige Spitzenspiel. Denn es geht um den Platz an der Fünftligasonne. Einfach irre was hier los war, alte Fußballbegeisterung die man in Europa nur noch selten antrifft. Das Stadion liegt gleich um die Ecke, die Schienen der Metro hier, da die trennende Straße und dann gleich die obligatorische Stadionmauer, hinter der sich der Gästeblock versteckt. Die Gäste waren derweil schon irgendwo, jedenfalls angekommen. Uns wurde berichtet, dass diese von den Balkons mit allem möglichen beworfen wurden. 132 Gästekarten wurden an die Sarden verkauft, was eine utopische Zahl ist. Im Stadioninneren war davon aber noch nichts zu sehen. Nur der Heimbereich war teilweise schon proppenvoll (>5000 ZS). Hier gibt es nur eine Haupttribüne, eine Gegengerade auf der die Ultras stehen und eben einen Gästeblock di merda hinter dem Tor zur Metro hin. Dieser ist so scheiße, 4 Gerüststufen, vielleicht auch 5, davor eine Riesen-Plexi-Wand, dahinter die Stadionmauer, man dürfte bei der Sonne dahinter gekocht haben. Aber zunächst eben nur 10 Hanseln verteilt im Gästeblock. Auf Heimseite alles am voll werden, die Haupttribüne platzt aus allen Nähten, alle am Stehen, überall Tröten, kurz vor Anpfiff kommen aus dem Hintertorbereich, hinter dem eine kleine Tribüne steht mindestens 20 Jugendliche über den Zaun geklettert, rennen über den Rasen, ziehen sich am Plexiglas in den Block der Ultras hoch. Zum Anpfiff reckt die Gegengerade der Ultras der Corallini rote und weiße Pappen empor, die ein Muster ergeben, was sich alle paar Sekunden in den Farben ändert. Davor ein Spruch der etwa soviel bedeutet wie „Soviel Zeit in dieser Bumsliga vergangen und ich immer noch nicht müde von dir.“ Die Haupttribüne steigt in die Gesänge mit ein, auf einer Mauer der angrenzenden Metrolinie sitzen Jugendliche und zünden Rauch, im Heimblock auch die ein oder andere Fackel und alles am Ausrasten. Nicht in Worte zu fassen. Aber es kommt noch besser: Nach vielleicht 10 Spielminuten stürmen 120 Ultras wie aus dem nichts auf die rechte Hälfte des Gästeblockes. Alles utopische Gestalten, oberkörperfrei, braungebrannt von der sardischen Sonne, scheinbar geschmuggelte kleine Schwenker werden in die Masse geworfen, auf den Rasen werden 2 Papierbomben geschmissen – Heimseite pöbelt unentweglich, das ganze Stadion stimmt ein „Chi non saltaaa…“. Was für eine Szenerie, unglaublich! Der Gästemob zieht mich auch danach in seinen Bann. Keine Fahne, keine Schals, nur verschwitzte Oberkörper, vor dem Mob bringen 10 Einheizer den Mob auf Hochtouren, krasse Pogoaction und sonstwas. Und dazu muss ich sagen, dass ich den Mob in den kompletten 90 Minuten kein einziges Mal richtig vernommen habe (-n konnte – wie auch?). Aber es reichte einfach das, was man durch die Plexiglaswand hindurch beobachten konnte. Utopie! Die gesamte erste Hälfte war wirklich ein einziges Casino.

Quelle: Beziehungskiste Nr. 13 (März 2014)