Bericht Weltpokal in Marokko

Ein Mitglied von uns sprach seit Jahren davon, dass das Finale des Europapokals eigentlich ja nur die Qualifikation zum Weltpokal sei. Gruppenkonsens wird diese Beschreibung wohl nicht mehr werden, aber als der Freudenrausch nach Wembley so langsam ausklang, wurde einem bewusst, welch Sahnestück einen da im Dezember noch erwartet.

Wir haben ja im BFU-Jahresrückblick davon geschrieben, dass nach dem Triple der Gedanke an Liga- und Europacupalltag eher ernüchternd auf uns wirkt. Auch wenn sich im Laufe der Hinrunde das Verhältnis zur AG normalisierte, bot die Bundesliga eigentlich keine Highlights. Auswärts in Moskau war natürlich nochmal ein interessantes Zwischenspiel, aber alle Euphorie und Vorfreude konzentrierte sich auf eine Woche in einem mehr oder weniger fremden Land mit einer anderen Kultur, anderem Wetter und anderen Fußballstadien. Und den Weltpokal gewinnt man auch nicht alle Tage und fehlte vielen von uns noch in der persönlichen Trophäensammlung. Die letzte Gelegenheit dazu hatte sich zwölf Jahre zuvor in Tokio ergeben. Aus Fanszenesicht hat der Pokal einen höheren sportlichen Wert als ihm die allgemeine deutsche Sportöffentlichkeit zuspricht. Es bieten sich im Fanleben nur wenige Gelegenheiten, den Titel zu holen.

Natürlich war es ein Riesenglück, dass der Weltpokal 2013 erstmals in Marokko ausgespielt wurde. Eine Reise ins High-Price Land Japan hätten sich wesentlich weniger Ultras leisten können, eine Reise in die Emirate ist zwar auch noch halbwegs finanzierbar, aber wesentlich weniger spannend.

Solch eine Reise stellt einen als Gruppe auch immer vor die Herausforderung wie man diese Woche verbringen will. Der Eine jubiliert über eine Woche all-inclusive in Agadir, dem Nächsten laufen die Augen schon rot an, wenn er nur von der 5 Euro Übernachtung im Hostel Kif-Kif liest und der Dritte erzählt ganz begeistert, dass er da was von diesem abgeschiedenen Bergdorf im Atlas gehört hat, wo sich nur selten ein Tourist hinverirrt. An sich versuchen wir, unsere internationalen Tage auch als Gruppe zu verbringen. Wenn möglich bestreiten wir die Anreise per Bus, auch wenn natürlich immer Leute aus Zeit- oder Geldgründen auf Flieger ausweichen müssen. Bei rund 70 anwesenden Mitgliedern, heterogener Interessenlage und einer Woche Aufenthalt gestaltet sich dies allerdings schwierig. Man einigte sich aber zumindest darauf, den Weg von Marrakech, wo viele Leute montags vormittags aufschlugen, nach Agadir und retour gemeinsam in gecharterten Reisebussen zu bewältigen.

So standen montags um 10:30 Uhr Ortszeit hundert Leute aus der Fanszene am Marrakech-Menara und warteten gespannt auf unsere beiden Gefährte. Ein paar Paletten Bier für die Fahrt waren bereits besorgt und eigentlich hätte es losgehen können. Aber gleich zu Beginn der Tour wurde es interkulturell und Stereotypen wurden bedient. Die halbe Stunde Verspätung hatte man ja fast erwartet, dass dann aber lediglich ein 40-Personenbus auf dem Parkplatz vorfuhr, überraschte schon etwas. Kurz mit dem Fahrer geratscht und mal nachgefragt, was denn aus denn zwei gebuchten Bussen für 100 Leute geworden ist. Ja, sein Bus sei nur für 40 Personen zugelassen. Danke für die Info, Kollege. Hätten wir jetzt nicht gemerkt. Aber in Marokko ja alles kein Problem, der Chef wird angerufen. In einer halben Stunde soll ein zweiter Bus kommen. Gut, kein Thema, aber dran denken, dass alle hundert reinpassen müssen. Nach weiteren 45 Minuten rollt der zweite Chauffeur mit seinem heißen Gefährt an. Mmmh, da passen ja jetzt auch nicht wirklich mehr rein. Wir sind ja nicht wählerisch, wird der Bus halt etwas überbelegt. Den Kutscher kurz informiert, worauf der sich dann auch besinnt und meint, es wär ja nicht schlecht wenn auch wirklich alle legal mitfahren dürften. Also wird wieder den Chef angerufen und der entsendet nochmal einen 20-Sitzer. Dauert halt nur wieder ein bisschen. Ist ja nicht so schlimm, eine kleine Kuriosität zum Reisebeginn nimmt man ja gerne mit, solange man nicht unter Zeitdruck steht. Derweil rauchte man noch ein Zigarettchen und echauffierte sich über die Losfee, die uns trotz exzellenter Chancen auf einen Trip nach Istanbul oder Athen wieder zu Arsenal FC schickte. Irgendwann war dann auch Bus Nummer drei auf dem Parkplatz erschienen und mit knapp zwei Stunden Verspätung tuckerte der Tross los. Endlich ein erster Blick auf Streetlife in Marokko.

Vier Stunden später erreichten wir Agadir. Eine Stadt, die außer Sonne und Meer relativ wenig zu bieten hat. Klar, marokkanischer Standard mit einem schönen Markt und verschiedenen Hamams war auch hier zu finden, generell merkte man aber, dass die Stadt nach dem großen Erdbeben in den 1960er Jahren ihre Entwicklung vor allem dem Pauschaltourismus zu verdanken hatte. Der Großteil unserer Reisegruppe stieg gemeinsam in einem Hotel ab. Auch eine kleine Abordnung der Ultras Ahlawy hatte dieses Domizil als Schlafstätte auserkoren. Größerer Kontakt blieb aus. Man beschnupperte sich ein wenig, wechselte ein paar Sätze, aber damit hatte es sich dann auch. Dass wir keine Gruppe sind, die auf Stress mit Gruppen scharf ist, mit denen man bisher keine Berührungspunkte hatte, dürfte bekannt sein. Ganz lustig allerdings, wie ähnliches Auftreten bei Ultras aus verschiedenen Ländern ganz unterschiedlich auf einen wirkt. Die Jungs aus Kairo verbrachten einen großen Teil des Abends auf ihrem Balkon und waren am Lieder singen. Bei den meisten deutschen Gruppen hätte man sich wahrscheinlich irgendwie gedacht, „Alter, was seid ihr denn für Trottel“, bei al-Ahly wirkte das Ganze aber irgendwie lässig, lustig und cool. Die Frage, ob die unterschiedliche Wahrnehmung jetzt an der eigenen verkrusteten Denkweise liegt, oder solche Auftritte halt wirklich unterschiedlich daherkommen, wird wohl unbeantwortet bleiben.

Unsereins amüsierte sich derweil schon über die ersten Fehlkäufe des Tages und gratulierte den stolzen Besitzern eines Klumpen Erde und eines leckeren Stücks Schokolade mit ganzen Nüssen. „Leben und leben lassen“, wie man von den sprachgewandten Händlern in Agadir und Marrakech so gerne hörte. Zu späterer Stunde wurde es dann aber auch bei uns selbst nochmal kreativ. Während sich die Mischgetränke langsam dem Ende neigten (die Sätze ein paar Zeilen weiter oben lassen grüßen), entstand auf einem Hotelzimmer in lustiger Runde der Hit dieser Reise, welcher sowohl beim Spiel am nächsten Tag als auch vier Tage später mehrmals ins Stadionrund geschmettert wurde und wohl den Sprung übers Mittelmeer nach Fröttmaning schafft.

Vollgepackt ging es am nächsten Mittag einige hundert Meter weg vom Hotel zum Parkplatz unserer Busse. Der Club Nr. 12 und wir hatten für das Halbfinale gegen Guangzhou jeweils eine kleine Aktion vorbereitet. Im Vorfeld hatten wir eigentlich versucht über Kontakte in Marokko das benötigte Material zu besorgen. Nicht ganz unerwartet gestaltete sich die Planung aber etwas chaotisch und so wurde kurzerhand die Option in Erwägung erzogen, sich selbst auf dem lokalen Baumarkt-Bazar mit Fahnenstangen etc. einzudecken. Dieses Abenteuer bzw. Risiko war dann am Ende allerdings nicht ganz mehrheitsfähig und so bescherte man den Billigairlines ein paar Zusatzeinnahmen und checkte ordentlich Gepäck ein. Mit unseren drei Bussen ging es zum außerhalb gelegenen Stadion. Drei Stunden vor Anpfiff lief das noch sehr fix ab, Bayernfans die später aufbrachen, berichteten von einer wahren Odysee und auch Leute, die eine Stunde vor Anpfiff mit dem Taxi aus der City losfuhren, standen erst gegen Ende der ersten Halbzeit im Block.

Es waren mehrere Ringe mit Kartenkontrollen aufgebaut, offenbar hatten die Verantwortlichen keine große Lust nochmal ähnliche Szenen zu sehen, wie bei den beiden Spielen zuvor als der Raja-Jugendmob selbständig für akzeptable Eintrittspreise gesorgt hatte. Unsereins durfte im Vorverkauf 40 Euro für die Halbfinalkarten hinlegen. Wie bei der FIFA üblich, gab es für Einheimische nochmal eine separate billigere Ticketkategorie. Für unser Spiel waren umgerechnet ca. 14 Euro abzudrücken. Wer in Marokko schon mal ein Spiel in der Botola Pro besucht hat, weiß den Preis halbwegs einzuordnen. Es gibt kaum ein Ligaspiel, bei dem die teuerste Karte mehr als 10 Euro kostet. Dementsprechend langsam füllte sich das Stade Adrar und zum Anpfiff war gerade Mal die Hälfte der etwas überdimensionierten Schüssel gefüllt. Die ganze Spielzeit über strömten noch weitere Zuschauer ins Stadion und gegen Ende dürften wir wohl eine 75prozentige Auslastung erreicht haben.

Zum Einlaufen schwenkten wir viele, der für die Südkurve mittlerweile charakteristischen rot-weiß-bordeaux gestreiften Fahnen unter dem Motto „Nur für Dich um die ganze Welt“ Eine 4-stündige Anreise per Flugzeug mag jetzt noch keine ganze Weltumrundung gewesen sein, aber ein bisschen Übertreibung wird in unseren Kreise ja gestattet sein.
An der Anzahl der zum Halbfinale eingeflogenen Bayernfans machte sich die geringe sportliche Signifikanz des Weltpokals in Europa bemerkbar. Wir würden mal auf 800 Rote schätzen. Ca. 500 davon hatten auch Bock halbwegs durchgängig anzufeuern. Das gelang mehr oder weniger gut. Zum einen störte es, dass wir nicht kompakt genug aufgestellt waren und auch viele einheimische Bayernfans und andere Locals im Stimmungshaufen standen. Sicher alles nette Leute, aber während der 90 Minuten brauchen wir sie wirklich nicht direkt neben uns haben. Zum anderen waren auch viele andere Stadionbesucher an einer Fußballparty interessiert und so übertönten uns tausende Marokkaner mehrfach mit Rufen und Gesängen. Streckenweise machte es trotzdem Spaß. Das neue Lied über 10 Minuten gesungen, rumgehüpft, auf einem fremden Kontinent die rot-weißen Fahnen hochgehalten. Doch schöner als zum zwölften Mal Wolfsburg auswärts oder Europapokal in einer sterilen neuen Arena mit Gästekäfig ohne Fanszene auf Heimseite. Besonders geil ist es natürlich, wenn man auf einer solchen Reise auch noch von guten Freunden begleitet wird. Die ganze Woche waren 7 Ultras vom FCC, ein Ragazzo aus San Benedetto del Tronto und ein Kollege von USP mit uns unterwegs. Schee war’s mit Euch.
Unsere Aktion zur zweiten Halbzeit soll der Vollständigkeit auch noch erwähnt werden. Unser Kindl präsentierte den „Kings of the Cup“ Retroschal aus den 1980ern. Im Hintergrund wurde fleißig mit Luftballons, Folienpimmeln und Fähnchen gewedelt. Als das Choreomaterial dann in den Unterrang entsorgt wurde, fand es dort dankbare Abnehmer. Vor allem Kinder aber auch einige Erwachsene machten sich einen Spaß daraus mit dem Material zu spielen und rumzualbern. Eigentlich recht sympathisch, und irgendwie auch ein bisschen charakteristisch für marokkanische Stadien. Immer ist irgendwo was los. Immer ist eine Unruhe drin. Kleine Gruppen laufen scheinbar ziellos über die Tribünen, es schließen sich neue Leute an. Es gibt ständig was Neues auf den Tribünen zu entdecken.

Zum Spiel selbst braucht man wohl wenig schreiben. Pflichtsieg. Alles andere wäre eine derbe Enttäuschung gewesen.

Als Finalist ging es mit den Bussen zurück in die Stadt, wo in Kleingruppen der Abend je nach Gusto ausklang. Am nächsten Morgen stand die Rückfahrt nach Marrakech an, wo an diesem Tag auch das Spiel um Platz 5 und das zweite Halbfinale ausgespielt wurden.

Die Tage in Marrakesch verbrachten wir wiederum in kleinen Cliquen: Muliritt im Atlasgebirge, Galadinner bei den Essenständen auf dem zentralen Platz Jemaa el-Fna, chillen auf der Hostelterrasse, hartes Feilschen auf den Souks, verrückte Abende in den billigen und zwielichtigen Kneipen der Stadt. Die gewissenhaften Arbeiter der Gruppe halfen wahrscheinlich zum ersten und letzten Mal in ihrem Leben auf einer Art Steinwüstenbrache neben ihrem Hotel bei der Vorbereitung der Finalchoreo des Club Nr. 12.

Natürlich besuchten auch einige Bayernfans die beiden Mittwochsspiele im Stade de Marrakech. Selbst wenn diese Kicks mit unserem Aufenthalt in Marokko als Gruppe nur am Rande zu tun hatten, halten wir die Eindrücke von dort aber durchaus trotzdem für berichtenswert – auch wenn es jetzt zugegebenermaßen streckenweise sehr anekdotsich werden wird.

Tickets konnten auf verschiedenen Wegen bezogen werden. Mit etwas feilschen und einer traurigen Geschichte bekam man am el-Harti Stadion im Herzen Marrakechs auch Tickets für die Gegengerade für umgerechnet knapp 25 Euro verkauft. Von dort fuhren auch die kostenlosen Shuttlebusse zum weit vor den Toren der Stadt gelegenen Ground. Sich zu den feiernden Marokkanern zu gesellen, war leider nicht möglich. Die Polizei segregierte strikt Marokkaner und Ausländer und so lernte man eben die ersten Mineiro Fans etwas näher kennen. Die hatten ohnehin in der ganzen Stadt eine unglaubliche Präsenz. Gefühlt sind alle Brasilianer im Trikot angereist und haben dieses auch die komplette Zeit in Afrika nicht mehr ausgezogen. Angeblich hieß es, 15000 Jünger des Galo (Hahn, Maskottchen) wären auf dem Weg nach Marrakech. Letztendlich dürften es aber dann doch eher nur 10000 gewesen sein. Bei der Entfernung aber trotzdem beachtlich. Jemand mit dem wir ins Gespäch kamen, hatte sogar sein Auto für die Reise vertickt. Lustigerweise waren die Einheimischen ob deren Anzahl derart auf die Brasilianer eingestellt und hatten bis dahin noch so wenige deutsche Fans gesehen, dass wir auch regelmäßig für Brasilianer gehalten wurden. Auch ein Kuriosum.

Am Stadion angekommen, bemerkte man schnell, dass die Ultras Ahlawy wohl Trouble mit den Cops hatten und vorerst nicht ins Stadion kamen. Da der Anpfiff drängte, während es für den deutschen Riot-Hopper gerade ohnehin nichts weltbewegendes zu sehen gab, ging es flugs durch drei Ticketkontrollen ins Innere des Stade. Dort legte die Barra von Monterrey schon munter los und spielte mit ihren Pauken auf. Der süd-/mittelamerikanische Stil der Anfeuerung hat bei einer kleinen Masse wenig Durchschlagskraft, aber die Rythmen gingen schon ganz ordentlich ins Blut. Mit einem Auftritt von al-Ahly auf den Tribünen rechneten wir gar nicht mehr groß. Wäre nicht anfangs der zweiten Halbzeit eine Fackel auf den Platz gesegelt, hätten wir im Unterrang aufgrund der üblen Akustik des etwas misslungenen Genua-Klons sogar gar nicht bemerkt, dass UA07 nun doch ins Stadion gekommen war. Also Beine in die Hand und schnell hinauf zum Oberrang. Die erste Pyroshow hinter einer durchsichtigen Plastikfolie hatten wir da schon verpasst, aber die Jungs vom Nil hatten noch ein paar Bengalos im Gepäck und so zischte und brannte es immer wieder mal. Ihre Mannschaft lag zwar schon 1:4 zurück, aber die Ahly-Fans ließen sich davon nicht beeindrucken. Ein geiler Haufen, der total am abdrehen war. Melodische Lieder wurden, mit Blicken in den Augen vorgetragen, die man in Deutschland sonst eher frühs um 5 in irgendwelchen Elektroschuppen sieht. Wenn man sich dann überlegt, dass diese Leute sich während der Revolution und auch heute noch scharfe Gefechte mit den Sicherheitskräften liefern, bei denen die Bullen zumindest in der Vergangenheit auch letale Munition verwendet haben, kann man nicht anders, als durchaus ordentlichen Respekt vor den Ägyptern zu haben. Das Massaker von Port Said braucht man dafür noch gar nicht mal erwähnen.

Das eigentliche fantechnische Highlight sollte heute aber noch folgen. Während sich die Brasilianer auf mindestens drei größere Bereiche aufgeteilt hatten, gehörte Raja natürlich der Großteil des Stadions. Die Ultragruppen der Curva Sud Magana hatten sich auf einer Hintertortribüne breitgemacht und bereiteten dort fleißig ihre dritte Choreo innerhalb einer Woche vor. Ein sehr respektables Pensum. Da dürften in Casablanca die Papierschneidemaschinen 24/7 gelaufen sein. Während die Ultras am werkeln waren, stimmten sich die restlichen Rajaoui schon mal ein und man merkte schon, dass man sich hier auf ein Schmankerl freuen durfte. Die Brasilianer ließen das Spiel in aller Ruhe auf sich zukommen und änderten an ihrer Haltung auch während der 90 Minuten nicht viel. Auch wenn uns klar war, dass es sich vor allem die Besserverdiener unter den Fans würden leisten können zum Weltpokal zu kommen, hätten wir doch ein wenig mehr Begeisterungsfähigkeit erwartet. Glücklicherweise kompensierte Grün-Weiß die schwarz-weiße Tristesse absolut. Kurz vor dem Einlaufen wurden überall im Stadion die Kameras gezückt und es schallte laut „Tifo-Tifo-Tifo“ durch das Rund. Fachkundiges Publikum hier, das von den Ultras forderte doch endlich die Choreo zu zeigen. Auch im weiteren Verlauf des Spiels wandten sich die Fans auf den andern Tribünen immer wieder mit „Curva Sud, Curva Sud“-Rufen an die Ultras und wollten sie damit animieren, das nächste Lied anzustimmen. Das mutet insofern ein bisschen komisch an, da man das Gefühl hatte, die Ultras würden hier gar nicht so sehr den Ton angeben. Zwar konnten unglaublich viele Leute, die langen, textreichen melodischen Leider mitsingen, die restlichen Fans stimmten aber auch immer wieder selbständig kurze Schlachtrufe bzw. Gesänge an. Richtig laut wurde es selten dabei, was wir aber auch wieder auf die miese Akustik zurückführen würden, denn sowohl die Kurve als auch der Rest des Stadions machten einen starken Eindruck. In jedem Fall schufen sie eine großartige Fußballkulisse, bei der man sofort Feuer und Flamme für Raja war und vor allem darauf hoffte, hier einen Torjubel miterleben zu dürfen.
Während des Spiels bekamen wir von unseren Platznachbarn immer wieder Kekse oder Knabbereien angeboten. Sie freuten sich über unsere Sympathie für ihre Mannschaft. Überhaupt haben wir die krasse Gastfreundschaft bisher noch gar nicht erwähnt. Ist irgendwo Klischee, aber in diesem Vorurteil steckt sicher ein großes Korn Wahrheit. Negativ aus der Reihe tanzte lediglich ein älterer Mann, der für das Kopfschütteln der Tour sorgte. Neben ihm stand ein junger Mann, der gefühlt 90 Minuten ununterbrochen in seine Tröte blies. Ohrenbetäubend. Nervtötend. Unseren alten Herrn störte das aber herzlich wenig. Erst als Mitte der zweiten Halbzeit jemand von uns etwas lauter am erzählen war, drehte er sich um und deutete mit seinem Zeigefinger vor den Lippen an, dass wir doch bitte leiser sein sollten. Da brichst Du weg. Kuriositätenkabinett vom Feinsten.
Auf dem Feld hatte sich das Spiel derweil komplett anders entwickelt als erwartet. Entgegen ihrer Ankündigungen zerlegten die Brasilianer Raja keineswegs in Einzelteile. Wir vefolgten ein gänzlich offenes Spiel und durften dann endlich den ersehnten Torjubel erleben. 12 Minuten Tollhaus, 12 Minuten totale Euphorie. Und dann kam der Superstar der Brasilianer: Ronaldinho, dieser faule Hund hatte sich im ganzen Spiel ungefähr auf einem 30m² Rechteck bewegt und dann haut er so ein Ding raus. Ein ruhender Ball und schon macht er ein Traumtor. In unseren Reihen meinte nun jeder, die Brasilianer würden das Ding sicher drehen und Raja wohl kräftemäßig nachlassen. Aber wir wurden eines besseren belehrt. In der 84. zeigt der Referee auf den Punkt und nachdem es im Stadion für ein paar Sekunden mucksmäuschenstill war, explodierten 25.000 Raja-Fans, als ihr Spieler den Elfmeter ins rechte, untere Eck schob. Wir werden umarmt, hochgehoben und in grüne Fahnen gehüllt. Es gibt kaum eine Möglichkeit, sich dem Jubel zu entziehen und so lassen wir es bei der endgültigen Entscheidung nach einem 3:1 noch einmal über uns ergehen. Boom, das war eine Sensation und wir überlegten uns schon, wie wir hier beim Finale in Grund und Boden gesungen werden würden.

Mit dem Ende des Spiels waren die impressiven Momente für heute aber immer noch nicht vorbei. Unsereins denkt sich ja gerne, er sei recht gescheit und so lösten wir uns aus den Armen der euphorisierten Raja-Fans und liefen zügig zu den Shuttlebussen. In den vordersten Bus reingesprungen und damit gerechnet in einer guten halben Stunde wieder in der Stadt zu sein. Denkste! Die Bullen haben gewartet bis alle Busse voll waren. Somit saßen wir also ca. anderthalb bis zwei Stunden im Bus rum, bevor wir in Richtung Marrakech-Zentrum losrollten. Dort ging der Wahnsinn dann so richtig los. Das absolute Chaos, hatte von uns in der Form noch keiner gesehen. Hunderte vielleicht auch über tausend Jugendliche, die teils nur eine Party feiern wollten , zum kleineren Teil aber auch auf Jagd nach den verhassten Rajaoui waren. Es gab schon einige Szenen am Straßenrand, wo sich Raja-Fans und Anhänger des lokalen Fußballclubs KACM aus zwei Metern die Steine in die Fresse warfen und sich mit Holzknüppeln auf die Nuss gegeben haben. Der Bus bekam auch ein paar Steine ab und es segelte eine gefrorene Orange durchs zurückgeschobene Busfenster. Das Ganze halt inmitten des totalen Chaos dieser ganzen wuselnden marokkanischen Kids. Absoluter Hammer. Am Bahnhof sprangen wir raus und liefen mit ca. 30 Leuten erstmal in Richtung unserer Hotels. Zusammenbleiben hieß das Motto, obwohl sich dann sehr schnell rausstellte, dass die Situation für uns vollkommen ungefährlich war. Viel eher waren die Jugendlichen an uns interessiert und präsentierten stolz zuerst ihren Crazy Boys Schal und dann eine gezockte Raja-Fahne. Ein paar von uns kehrten noch in ein Fischlokal ein und bekamen hier nochmal eine gute Show geboten. Die Leute gut am feiern, aber auf einmal kracht es wieder, weil ein ca. 12jähriger einem Raja Fan den Schal gestohlen hat. Den Rest interessiert es nicht. Party, Party ,Party! Fünf Typen springen auf einem Auto rum. Der Besitzer ist auch total in Ekstase und steht auf dem Dach seiner Karre. Nach ein paar Minuten kommt die große Ernüchterung und er setzt sich auf die Rückbank um mit Fußtritten und Faustschlägen zu versuchen, die entstandenen Dellen wieder auszubeulen. Freakshow. Derweil schleichen sich immer wieder Kinder ins Lokal, um sich Essen und Getränke zu schnappen, das Leute nicht komplett konsumiert hatten. Klar, muss man sich fragen, ob es nicht ein Abfeiern von Armut ist, wenn man das hier jetzt so schreibt, aber es gehörte einfach zu den Eindrücken dazu und die waren enorm. Auch bei den Leuten, die in der Welt schon ein bisschen rumgekommen sind und eher ohne große Erwartungen nach Marokko gefahren waren. Ein bombiger Fußballtag klang somit aus.

Am Finaltag trafen wir uns zur Mittagszeit vor einem Hotel in dem der Großteil des Materials gelagert war. Per pedes ging es vorbei am Fifa-Fanfest zum El-Harti, wo wir in die Shuttlebusse steigen wollten. Zum FIFA-Fanfest kann man auch nochmal ein paar Worte verlieren. Auch hier wurden die Einheimischen wieder diskriminiert. Dem Großteil wurde der Zutritt gänzlich verwehrt. Es hat sich niemand von uns das Einlassprozedere länger angeschaut, aber mehrere Leute haben berichtet, dass man als Europäer einfach durch die Kontrolle lief, während die Marokkaner von den Securities aufgehalten wurden. Da werden von der Monarchie Millionen Euro in dieses Turnier investiert und der absolute Großteil der Bevölkerung darf sich nicht mal die paar aufgebauten Zelte und Ausstellungen anschauen.

Der Shuttletransport klappte wieder problemlos. Wir hatten uns für eine extrafrühe Variante entschieden, da irgendwann der König ankommen würde und dies wohl mit gesperrten Straßen und einem deaktivierten Handynetz einhergehen sollte. Klang potentiell nach schwierigen Anreiseumständen. So hatten wir ein leeres Stadion vor uns und konnten in aller Ruhe einen geeigneten Block für uns auswählen. Laut unseren Karten wären wir eigentlich im hinterletzen Eck des Unterrangs untergebracht gewesen. Nach kurzer Diskussion wurde dieser Standort aber verworfen und die Fahnen wurden im Oberrang aufgehängt. Alle ankommenden Bayernfans wurden nach oben geschickt und irgendwann beschlossen dann auch die Ordner diesen Bereich jetzt zum offiziellen Bayernsektor zu erklären. Erfreuliche Flexibilität.

Zum Spiel um Platz drei verlieren wir hier nicht viele Worte. Von den ursprünglich 10.000 Brasilianern verliefen sich am Samstag nur noch knappe 5000 zum Stadion; Fans aus Guangzhou waren ebenfalls nur noch ein paar Dutzend auszumachen. Fußballerisch gab es außer einem erneuten Freistoßtor von Ronaldinho ebenfalls nichts berichtenswertes.

Somit konnten wir uns vollkommen auf unser Spiel konzentrieren. Die Raja-Ultras waren wiederum mit der Vorbereitung ihrer Choreo beschäftigt und so hatten wir vor dem Anpfiff die Stimmhoheit, auch wenn sich wiederum die Raja -Fans auf unserer Tribüne ebenfalls einsangen. Im Übrigen, war das Finale wie auch die Spiele zuvor, offiziell nicht ausverkauft. Ein deutliches Zeichen für eine verfehlte Eintrittspreispolitik, denn die Begeisterung rund um das Spiel war in ganz Marokko schier ins unermessliche gestiegen.

Zum Einlaufen der Mannschaften präsentierte die Curva Sud erneut eine Zettelchoreo. Da waren in Casa wieder Nachtschichten notwendig, gemäß unseren Infos schneiden die Ultras die Papierrollen nämlich noch selber zu. Auf unserer Seite gabs ne Choreo mit orientalischem Touch. Einen Wunsch hatten wir beim Dschinn aus der Wunderlampe schließlich noch frei. Dabei stieg ein wenig Rauch aus der Lampe empor. Der Bengalo, der dafür sorgte, rief sofort die Cops und Ordner auf den Plan, die wie auch schon in Agadir vorne an der Balustrade rumnervten. Großartig verteidigt wurde die Bengale nicht, es wurde sich schiedlich friedlich in den Weg gestellt und singend rumgehüpft. Auch wenn wir davon ausgingen, dass die Bullen aufgrund der Öffentlichkeit eher nicht gegen uns vorgehen würden, hatte eigentlich keiner Lust, Heiligabend in einem marokkanischen Knast zu hocken und darauf zu warten, dass der Botschafter aus dem Urlaub kommt. Somit kam dann auch relativ schnell ein Bulle zum Bengalo durch, aber anstatt ihn aufzuheben, kickte er erstmal dagegen. Not so clever, my friend. Generell schienen die Cops in ihrem Umgang mit der Pyrotechnik ein wenig unvorsichtig. Als es kurz darauf nach dem 1:0 für uns etwas mehr brannte, rannten die Bullen auf die Fackeln wie die Motten ins Licht. Ganz gut, dass wir dazwischen rumhüpften, sonst hätte noch einer von den Jungs direkt ins Feuer gefasst. Festgenommen wurde trotz Androhung nach der ersten kleinen Bengale aber niemand. Dass es heute überhaupt brannte war anscheinend keine Selbstverständlichkeit. Wie man munkeln hörte, verlief der Pyrokauf sehr kompliziert. Zum einen mussten wohl mehrere hundert Kilometer per Auto zurückgelegt werden, zum anderen waren es am Ende nicht die versprochenen 35 Fackeln, sondern lediglich 21. Der ausgemachte Preis änderte sich dadurch aber selbstverständlich nicht, so dass am Ende knapp 15 Euro pro Bengalo investiert werden mussten. Hatte man im BFU ja auch schon mal so gelesen.

Dank Wochenende und Tagesfliegern des Club Nr. 12 war diesmal auch eine vernünftige Anzahl an Bayernfans zugegen und so konnten wir mit 2500 Leuten den Rajaoui Paroli bieten. Dies lag natürlich auch an der 2:0 Führung und unserem günstigen Standort, der verhinderte, dass die Lieder der Raja-Ultras so einfach auf andere Tribünenteile übersprangen. Es gab in der ersten Halbzeit mal eine kurze Hängerphase bei ihnen. Teile der Hintertortribüne setzten sich sogar hin. Dann gingen die Ultras nochmal durch die Reihen, motivierten die Leute und die Gesänge wurden wieder aufgenommen. Leute, die das Spiel von außerhalb des Bayernblocks verfolgten, sprachen von einem erneut gelungenen Auftritt der Curva Sud Magana.

Auf unserer Seite blieb der Tifo das ganze Spiel durch zufriedenstellend, obwohl man sich bei einem Spiel in Afrika schon noch etwas mehr Enthusiasmus der gesamten angereisten Anhängerschaft wünschen würde. Als dann nach 90 Minuten der letzte Titel des Jahres unter Dach und Fach war und die Mannschaft mit dem Pokal in die Kurve kam, war das Ganze doch etwas komisch. Wir Fans feierten ausgelassen und freuten uns ehrlich über den Triumph. Nach 12 Jahren erklang endlich mal wieder ein „Die Nummer 1 der Welt sind wir“. Die Spieler hingegen hatten nach dem Sieg in Dortmund wesentlich ausgelassener gewirkt. Es schien fast so, als ob sie nicht ganz wüssten, wie sehr sie sich über diesen eher weniger renommierten Pokal freuen sollten.

Relativ zufällig ging es nach dem Abmarsch der Spieler in die Kabine für unsereins nochmal auf den Platz. Wir packten grade unser Zeug zusammen, als plötzlich ein paar Kids auf dem Feld rumliefen. Na ja, dann schauen wir halt auch mal runter. So kam Bewegung in den Haufen. An einer der Fluchttüren zum Spielfeld spielte sich ein fantastischer englischer Dialog zwischen uns und dem Ordner ab:
„Mach die Tür auf, wir wollen durch“ – „Nein, da krieg ich Ärger“, „Mach auf, wir drücken sie sonst auf!“ – „Bitte nicht, sonst krieg ich Ärger“ – „Aha, und was ist wenn wir zum nächsten Tor gehen?“ „Da ist es mir egal, da kriegt dann der andere Ärger“. Im Innenraum ging es dann sofort auf Souvenirsuche und das ein oder andere feine Stück fand auch den Weg nach München. Noch schnell ein paar Erinnerungsfotos gemacht und dann doch mal den Weg zu den Shuttlebussen angetreten. Die Wartezeit war auch diesmal wieder ewig, als amtierende Nummer Eins der Welt aber natürlich kein Problem.

Wir waren schon wieder gespannt, was uns in der Stadt so erwarten würde. Das unglaubliche Polizeiaufgebot, das nicht nur komplette ärmlichere Siedlungen in Stadionnähe abgeschirmt hatte, sorgte auch in der Innenstadt für Ruhe. Abgesehen von den Raja-Fans, die sich am Bahnhof auf die Rückreise nach Casa vorbereiteten, war kaum jemand auf der Straße. Fast schon etwas enttäuschend.

Am nächsten Tag blieben für die Weltpokalsieger die Möglichkeiten sich nochmal ein wenig in Marrakech umzuschauen, einfach den Rausch auszukurieren oder mit Salé- El-Jadida bzw. FAR Rabat – HUS Agadir und dem Abendspiel Kenitra – Safi einen leichten Doppler zu machen. Spielberichte ersparen wir uns und Euch. Es waren so viele Deutsche zugegen, dass sicher demnächst in einem Fanzine ein Bericht auftauchen wird.

Wie sieht also unser Résumé nach einer Woche Weltpokal in Marokko aus? Das Land und seine Bewohner selbst sind spitze. Freundlicher Empfang, interessante Gespräche und natürlich auch eine tolle Küche locken zur Wiederkehr. Wir würden uns jetzt nicht beschweren nächstes Jahr nochmal ein paar relaxte Tage in Afrika zu verbringen. Der Moloch Casablanca und die wunderschöne Altstadt von Fez hätten uns bestimmt einiges zu bieten.

Der Weltpokal in Turnierform ist ein Bombenkonzept, da kann man von der FIFA und ihren Intentionen halten was man will. Fanszenen aus aller Welt, mehrere Spiele und die Möglichkeit eine Woche in einem fremden Land zu verbringen, sind eine klasse Sache. Für uns setzte es dem Jahr 2013 die Krone auf, vor allem auch, weil wir einen wirklich seltenen Titel erringen konnten. Auch wenn dieser sportlich in Europa keine Wertigkeit hat. Wie ein guter Freund stets zu sagen weiß: „Mit den internationalen Titeln ist es halt wie mit den Kindern, sie unterscheiden sich zwar, aber man hat sie alle gleich lieb.“

Ein Dankeschön geht zum Abschluss nochmal an alle Freunde, die uns bei dieser Marokkotour begleiteten und an die Jungs von FCB WorldWide, die ein paar organisatorische Dinge merklich erleichterten.

Auf der Südkurven-Seite gibt es jede Menge Bilder von den beiden Spielen in Marokko. Halbfinale und Finale.
Außerdem gibts auf www.suedkurve-muenchen.org auch noch ein Video vom Weltpokal 2013.