Die Geschichte des FC Bayern München beginnt bekanntermaßen am 27. Februar 1900 im Gasthaus Gisela. Wir wollen an dieser Stelle aber noch einige Jahre zurück gehen und auch die Wurzeln unseres Vereins betrachten. Die elf Gründer unseres geliebten Vereins verließen an jenem denkwürdigen Abend die Versammlung ihres bisherigen Vereins MTV München von 1879. Einem Verein der übrigens noch heute im Münchner Breitensport eine große Rolle spielt und bei dem man unter anderem Turnen, Fußball, Boxen, Hockey, Tennis, Leichtathletik und Volleyball betreiben kann. Gegründet wurde der MTV am 29. Juni 1879 von vier Turnern, die Fußballabteilung wurde 1898 ins Leben gerufen.
Zu dieser Zeit war der Fußballsport in München noch nicht sehr verbreitet und wurde sogar mit Skepsis betrachtet. In anderen Städten verhielt sich das durchaus anders, das von Briten ins Land gebrachte Spiel begeisterte hier schon einige Jahre die Sportler. Dies vor allem in Städten, in denen viele Engländer lebten, wie Hamburg, Berlin, Frankfurt, Hannover, Braunschweig oder Karlsruhe. Die in Deutschland weilenden Briten wollten auf die in ihrer Heimat weit verbreiteten Sportarten nicht verzichten und luden Kollegen, Gymnasiasten und Studenten zum Spiel ein. Ein Reporter der Münchener Neuesten Nachrichten berichtet von einem Spiel zwischen dem MTV und einer Mannschaft aus Karlsruhe – der damals in Süddeutschland führenden Fußballstadt – aus dem Jahr 1899: „Zwar verlief es so, daß immer einer am Ball war, indes die übrigen 19 – ausgenommen die Thorwächter – hinter ihm herrannten. Doch die anständige Art wie gespielt wurde, war geeignet, jede Voreingenommenheit zu zerstören und die Sympathie des bisher abgeneigten Publikums zu erwerben.“ Darin kommt sowohl die besagte Skepsis, die vor allem die Turner dieser neuen modernen Sportart entgegen brachten, als auch die Begeisterung, die sie hervorrufen konnte, zum Ausdruck. In Deutschland war zu dieser Zeit das Turnen weit verbreitet. Dies war auch politisch gewollt und wurde vom Staat gefördert, der sich erhoffte damit die „Wehrtüchtigkeit“ der Bevölkerung und vor allem der Jugend zu erhöhen, durch das entstehende „Wir-Gefühl“ nationalistische Tendenzen zu verstärken, Klassenunterschiede zu überdecken und so einen gesellschaftlichen Kitt zu schaffen. Entsprechend wurden viele Sportplätze gebaut und Sportunterricht in der Schule fokussiert. Auch wenn die dem Zeitgeist entsprechende Ressentiments gegen die neue „undeutsche“ Sportart zu Beginn sehr groß waren, ließ sich der Siegeszug des Fußballsports auch in München nicht aufhalten. Das Spiel gegen die Karlsruher Mannschaft ging für die junge und unerfahrene Mannschaft des MTV übrigens 0:10 verloren.
Bereits 1879 wurde das Fußballspiel vom Bayrischen Kultusministerium ins Lehrprogramm des Turnunterrichts aufgenommen. Fußball wurde dabei zur beliebtesten aber auch umstrittensten Ballsportart. Die im Sportunterricht mit dem Fußballvirus infizierten Jugendlichen trafen sich auch in ihrer Freizeit zum kicken und gründeten Vereine oder Fußballabteilungen in bestehenden Vereinen. Dabei waren es vor allem Studenten und Angestellte, also Angehörige der bürgerlichen Bevölkerungsschichten, die in München zu Pionieren des Fußballs wurden. Der Aufstieg der Fußballbegeisterung zu einem Massenphänomen vollzog sich kontinuierlich bis hin zu den 20er und 30er Jahren. Die Autoren des Buches „München und der Fußball“ berichten, dass der erste Fußballclub in München am 5. September 1896 gegründet wurde. Schon vorher wurde auf der Theresienwiese fleißig gekickt. Der Verein „Terra Pila“ (Lateinisch für „Erde“ und „Ball“) benannte sich später in „1. Münchener Fußball-Club von 1896“ um. Einer der ersten Münchner Fußballclubs war der FC Nordstern, gegen den unser FC Bayern am 15. April 1900 übrigens 15:0 gewann. Der FC Nordstern schien sich von dieser Niederlage nicht mehr zu erholen, jedenfalls wurde bereits 1902 von seiner Auflösung berichtet. Im Gegensatz zu anderen Turnvereinen, die sich der neuartigen Sportart verweigerten, war der MTV dem Fußballsport sehr aufgeschlossen und gründete wie bereits geschrieben 1898 eine eigene Fußballabteilung, die er sehr förderte. Bei der Gründung dieser Abteilung war der berühmte Fußballpionier Walther Bensemann beteiligt. Auch nach der Abspaltung der elf Fußballer nahm der MTV bis zum ersten Weltkrieg im Münchner Fußballgeschehen eine führende Rolle ein und gewann 1908/09 die Oberbayerische Meisterschaft. Damit ist der MTV der älteste noch existierende Münchner Fußballverein. Die erst 1899 gegründete Fußballabteilung des Turnvereins 1860 bestritt ihr erstes Fußballspiel erst 1902 und unterlag dem 1. MFC mit 2:4, gegen den MTV unterlag man im selben Jahr noch 0:13. Im Mai 1903 wurde noch der ab 1904 unter diesem Namen auftretende FC Wacker in Laim gegründet. Wacker, Turnverein, MTV und Bayern waren die vier großen Münchner Fußballmannschaften bis zum zweiten Weltkrieg.
In dieser Richtung weisenden Zeit kam der Berliner Franz John nach München und trat in die Fußballabteilung des MTV ein. Franz Adolf Louis John, eine bekannte Pankower Persönlichkeit, Fotograf, Sportler und Gründer des FC Bayern wurde am 28. September 1872 in Pritzwalk geboren. 1890 zog er mit seiner Familie nach Pankow am Rande von Berlin. Dort lebte er in der Wollankstraße, hier sind nur wenige Meter voneinander entfernt sein Elternhaus, seine spätere Wohnung und sein bei einem Bombenangriff im Krieg zerstörte Fotoatelier. Mit 21 Jahren trat John dem 1893 gegründeten VfB Pankow als einer der ersten Mitglieder ein und spielte dort unter anderem Fußball und betrieb Radsport. Nach seiner Rückkehr nach Berlin im März 1904 wurde er auch Präsident des VfB. Ab da war John in Berlin nur noch der „Franzl“ und brachte bayrische Lebensart in den Norden Berlins. John, der nie heiratet und später bei seiner Schwester wohnte, war eine schillernde Persönlichkeit und ein Künstler, der die Frauen liebte. Der VfB kümmerte sich auch nach seinem Tod am 17. November 1952 um die nötigen Angelegenheiten. Der FC Bayern ernannte Franz John 1933 zwar noch zum Ehrenpräsidenten, danach geriet der Gründer und erste Präsident des FC Bayern in München aber in Vergessenheit. In den Friedhofsarchiven ist als berechtigter Angehöriger „VfB“ eingetragen. Die Urne mit der Asche von Franz John liegt auf einem Friedhof in Fürstenwalde.
In seiner Zeit beim VfB Pankow lernte John Gustav Manning kennen, einem der Gründer des DFB und bedeutender Fußballpionier, dem er nach seiner Ausbildung zum Fotografen in Jena im September 1899 nach München folgte. Manning, der 1897 zum Schriftführer des Süddeutschen Fußballverbandes gewählt worden war, wollte München, das bisher auf der Fußballlandkarte nicht existent war, in den Verband integrieren. Dazu entsandte er Franz John und Josef Pollack, den er aus seiner Zeit beim Freiburger FC kannte, nach München. Die beiden traten in den MTV ein und versuchten den Vereinsvorstand zu überzeugen, dem Fußballverband beizutreten. Sie nahmen bei der Versammlung des MTV am 27. Februar 1900 im Gasthaus „Zum Bäckerhöfl“ eine führende Rolle bei den rebellierenden Fußballern ein. Die Fußballer versprachen sich von dem Beitritt Unterstützung bei der Einführung eines geregelten Spielbetriebs und damit sportliche Weiterentwicklung, der MTV-Vorstand folgte der Weisung der Deutschen Turnerschaft, die keine Turnvereine in Sportverbänden dulden wollte. Um 21:30 verließen Nägele, Schmid, Fritz und Karl Wamser, Ringler, Focke, Francke, Friederich, Zöpfel, Pollack und John die Versammlung des MTV.
Um den Namen des neuen Vereins wurde noch hart gekämpft. Einige fürchteten eine Verwechslung mit dem FC Bavaria. Entsprechend der Namensgebung wurden die Farben weiß-blau als Vereinsfarben festgesetzt. Anfangs hat der Verein nur diese elf Mitglieder, also gerade mal eine Mannschaft ohne Ersatzspieler. Anfang März traten weitere sechs Spieler ein und unterschrieben auf der Gründungsurkunde. Erkennungszeichen wurde der Strohhut. Das erste Fußballdress war hellblau, die Hosen weiß. Später spielte man in weißen Hemden mit schwarzen Hosen. Franz John wurde erster Vorsitzender. Dass die Juden Bensemann, Manning und Pollack an der Gründung des FC Bayern maßgeblich beteiligt waren, ist der Ausgangspunkt der Bezeichnung von Bayern München als „Judenclub“. 20 Jahre später resümierte Franz John wieder in Berlin-Pankow über die zwischenzeitliche Entwicklung des FC Bayern: „Das Samenkorn ist herrlich aufgegangen.“
aus der GDS-Chronik „110 Jahre FC Bayern“