Die italienischen Ultras und der Rechtsradikalismus – Ein Gesprächsabend mit Kai Tippmann, Jonas Gabler und Andrej Reisin im Kafe Marat (Donnerstag, 31.01.13)

150 Gäste folgten am Donnerstag Abend gebannt über zwei Stunden einer informativen Diskussion über rechte und als rechts gelabelte Gruppen und deren Erstarken in vielen italienischen Fankurven. Die Aufmerksamkeit und Beteiligung der Zuhörer sowie die Namen der drei geladenen Gesprächsteilnehmer alleine sprechen für die Qualität der Gesprächsrunde. Mit Hilfe von mit beachtlichem fachlichen Insider-Wissen geschilderten Beispielen aus der Welt der italienischen Kurven und fachlich fundiertem theoretischem Hintergrundwissen näherten wir uns dem Thema. Dabei ging der Gesprächsverlauf von den Anfängen der italienischen Ultras aus der linken Protestbewegung in den 60er und 70er Jahren aus und zeigte den Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Entwicklungen und der „Spitze des Eisberges“ in den Kurven auf. Denn ohne von Problemen der Kurven ablenken zu wollen sahen die Gesprächsteilnehmer die Ultras als Sündenböcke einer Gesellschaft, die selber von rassistischen Ressentiments durchsetzt ist und in schizophrener Art und Weise die zweifelslos vorhanden Eskapaden der italienischen Ultras verurteilt. Dabei können das Wegbrechen von charismatischen (linken) Persönlichkeiten, politische (rechte) Symbole allein zum Zwecke der Provokation oder das Aufbegehren der Jugend gegen die vorhandenen alteingesessenen (linken) Gruppen alleine nicht erklären, warum ganze Kurven mit Tausenden Menschen „kippen“. Das Stadion und seine Kurven sind eben doch Brennglas der Gesellschaft. Brennglas, weil sich in den Kurven überwiegend junge, männliche, weiße Menschen bewegen und dadurch gesellschaftliche Entwicklungen verstärkt sichtbar werden, die allerdings nicht losgelöst von jener gesehen werden können. Trotzdem dürfen wir unsere Augen nicht davor verschließen, wenn eben diese Kurven als Raum für rechte Symbolik, Rekrutierungsversuche, Sprechchöre und Transparente genutzt werden. Ob die organisierte Rechte zu den Gruppen Kontakte aufbaut und den Fußball als organisatorische Aktionsplattform nutzt, ist dabei nicht so erheblich. Ein rechtsoffener oder rechts etikettierter Mainstream in der Kurve bietet den Rechten Rückzugsraum, auch wenn Überfälle wie zuletzt auf die Tottenham-Fans in Rom vielleicht nicht hier geplant wurden. Und Kurven mit Hakenkreuz-Fahnen oder rassistische „Urwald“-Geräuschen dürfte niemand von uns gutheißen, auch wenn die Ursachen dafür in der Gesellschaft und nicht im Stadion zu suchen sind. Denn auch wenn eine solche rechte Symbolik nicht den Schluss zulässt, alle sich in der Kurve befindlichen Menschen als Nazis abzustempeln, hat der Fußball eine enorme politische Bedeutung. Nicht umsonst tummeln sich hier Lokalpolitiker bis hin zu Silvio Berlusconi und Co.

Die drei Referenten ergänzten sich im Verlauf des Abends hervorragend durch verschiedene Sichtweisen, Blickwinkel und Fachwissen und führten doch weitgehend einhellig durch die Veranstaltung. Und so war es auch das gemeinsame Fazit des Abends, wenn es ein Fazit gab, dass enorm wichtig ist, die deutsche Ultras-Szene mit vielen sich antirassistisch positionierenden und engagierten Gruppen eher zu stärken und nicht weiter zu schwächen.

Ein hervorragendes italienisches Steinpilz-Risotto mit Antipasti, Espresso, Borghetti, Limocello und Italo-Pop lieferten den passenden Rahmen für einen gelungenen Abend. Danke an Andrej, Jonas und Kai. Danke an alle die da waren, egal ob sie aus der Kurve, dem Marat oder aus sonstigem Interesse den Weg ins Kafe gefunden haben.

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