Da auch heute noch kein neuer Streetworkbus zur Verfügung stand, war das Fanprojekt wieder so nett und gewährte uns bei kühlen Temperaturen Unterschlupf. An Kartoffelsuppe und Glühwein wurden die Finger gewärmt und die ganz Verfrorenen fanden in der Studentenkneipe nebenan ein warmes Plätzchen.
Hatte man bei den Spielen gegen den HSV ansonsten auch immer ein Auge auf die Anreise der Gästefans geworfen, ist dem Spiel durch das Fernbleiben von Teilen der Hamburger Fanszene etwas die Brisanz genommen. Die Chosen Few tritt nach den Vorkommnissen am vorletzten Spieltag der Vorsaison, der ausgebliebenen Unterstützung, ja sogar Sanktionierung durch die Vereinsverantwortlichen und der Ausgliederung der Profifußball-Abteilung in dieser Saison nicht als Gruppe in Erscheinung.
Dementsprechend ging es entspannt zum Stadion, wo wir heute erstmals die neue Kapazität der Südkurve unter „Samstagsbedingungen“ testeten. Klar ist, dass wir alle etwas zusammenrücken müssen, denn es ist tatsächlich etwas enger geworden. Wir hoffen mal, das ist nicht der Grund dafür, dass die letzten beiden Heimspiele nicht unbedingt zu den stimmungstechnischen Highlights zählen. Gegen den HSV muss man da mal vor allem den unteren Teil der Kurve, der sich ja gerne als Motor des Ganzen sehen will, kritisieren. Da ist zu wenig Beteiligung, zu viel Cool-in-der-Gegend-rumschauen, Rumgemurmel statt ordentlichem Singen und insgesamt eine Atmosphäre, die eher darauf hindeutet, als möchte man die 90 Minuten einfach irgendwie rumbringen. Das darf aber keinesfalls der Anspruch sein. Die Südkurve vertritt den FC Bayern und das funktioniert nicht mit angezogener Handbremse. Heimspiele können Spaß machen, die Stimmung kann gut sein, aber dazu muss jeder einzelne aus dem Quark kommen. Natürlich war es heute insgesamt keinesfalls unterirdisch, wäre bei dem Ergebnis natürlich auch der Hohn.
Neben mittelprächtigem Tifo gab es heute auch noch zwei Spruchbänder. Mit dem ersten warnten wir davor, sich zu sehr nach England zu orientieren, wenn es um die Spielplangestaltung geht. Nach dem Abschluss eines neuen TV-Vertrags für die Premier League fingen auch in Deutschland plötzlich alle an, durchzudrehen. Der Spieltag soll noch stärker zerstückelt werden. Die Bundesliga bald auch am Montagabend spielen. Der Fan im Stadion würde dabei natürlich in die Röhre schauen. Für Auswärtsspiele am Montag würden zusätzliche Urlaubstage draufgehen, wenn man so kurzfristig überhaupt Urlaub bekommt. Der Amateurfußball würde unter den zusätzlichen Sonntagsspielen leiden. Dabei scheint die Bundesliga momentan sicher keinerlei Probleme zu haben. Die Engländer fliegen in Massen hierher, um Fußball und Fußballstimmung zu erleben. Von unserer Dominanz mal abgesehen ist die Liga ausgeglichen. Jeder kann jeden schlagen. International haben alle Teams die Vorrunden überstanden. Die Bundesliga ist interessant, sie ist mehr als konkurrenzfähig. Und selbst wenn es nicht so wäre?
Soll man plötzlich alle deutschen Fußballtraditionen über den Haufen schmeißen? Wären wir sicher plötzlich besser, nur weil Spiele um 11 Uhr morgens angepfiffen werden? Würden die Pay-TV Sender deutlich mehr zahlen, um Leverkusen – Hoffenheim und Wolfsburg – Ingolstadt auf exklusiven, separaten Sendeplätzen übertragen zu dürfen? Ist es überhaupt so, dass die Spieler automatisch in die Länder rennen, wo es am meisten Geld gibt? Wieso spielen dann so viele Weltmeister in der Bundesliga? Und wenn die Spieler wirklich Heuschrecken sind und nur dem Ruf des Geldes folgen, wollen wir dann so einen Fußball unterstützen?
Fragen über Fragen, die man von DFL und Co aber sicher nicht beantwortet bekommen wird. Für uns ist aber klar: Stadion geht vor Pay-TV “This ain’t no Premier League – Nein zum englischen Modell“
Ein zweites Spruchband bezog sich auf die Ereignisse in Ägypten, von denen jeder in den Nachrichten gehört haben dürfte. Nachdem das Militär vor drei Jahren bereits maßgeblich am Tod von 74 Al-Ahly Fans beteiligt war, wurde nun ein weiteres Exempel an den politisch aktiven ägyptischen Fangruppen statuiert. Bei einer durch die Tränengasgeschosse der Polizei ausgelösten Massenpanik in einem künstlich verengten Bereich vor dem Stadion kamen 22 Zamalek Fans zu Tode. „Different Colours, Same Murder – RIP Egyptian Fans“
In den Bereichen neben uns gab es noch Genesungswünsche an einen Mitstreiter. Auch wir wünschen gute Besserung.
Zum Spiel selbst brauchen wir hier ja nicht mehr viele Worte verlieren. War ganz einfach zum mit der Zunge schnalzen. Einen Arjen Robben in dieser Form könnte man sich auch 180 Minuten anschauen, ohne dass es langweilig wird. Und der Rest des Teams war auch sehr gut aufgelegt.
Die Mannschaft scheint somit endgültig in der Spur zu sein. Wir sind auf dem Platz also gewappnet für die Aufgaben, die da kommen. Jetzt müssen wir nur noch auf den Rängen nachziehen.
Ein Dank geht noch an die Freunde aus St. Pauli und Bochum, die uns unterstützten.