Artikel, Texte, Hintergründe II

Bericht aus dem Südkurvenbladdl zum Verbot der Gruppen aus der VA 2010:

Erschreckende Meldungen erreichen uns aus Frankreich. Wegen des Todes eines PSG-Fans nach Ausschreitungen zwischen Fans des Pariser Clubs untereinander sollen sieben Ultras-Gruppen vom Innenministerium verboten werden. Dabei handelt es sich um Supras Auteuil, Authentiks und Grinta von Paris Saint-Germain, Brigade Sud vom OGC Nizza, Butte Paillade 91 und Armata Ultras von HSC Montpellier und Cosa Nostra von Olympique Lyon. Bereits vor zwei Jahren wurde die Pariser Gruppe Bolougne Boys wegen des Zeigens eines beleidigenden Spruchbands (!) und die Faction Metz wegen Ausschreitungen vom Innenministerium aufgelöst. Das Ganze ist ein ungeheuerlicher Vorgang, den man sich erst einmal gar nicht vorstellen kann. Inwieweit stehen diese Verbote in einem Zusammenhang mit dem Tod des PSG-Fan oder dient dieser auf schändliche Weise nur als Vorwand. Es stellt sich – neben dem Erstaunen über die neue Dimension der staatlichen Gewalt – die Frage, wie ein solches Verbot ausschauen soll. Deswegen wollen wir an dieser Stelle ausführlich die Hintergründe beleuchten. Zu diesem Zweck haben wir unter anderem ein Gespräch mit einem Mitglied der Coloniacs geführt, der uns einige Einblicke gewährt. Die Kölner Ultras unterhalten seit einigen Jahren Kontakte zu den Gruppen aus der Virage Auteuil.

Die Virage Auteuil (VA) ist Heimat der Pariser Gruppen Supras Auteuil, Authentiks, Grinta, Lutece Falco und der mittlerweile aufgelösten Tigris Mystic und sehr durch „Einwanderer“ geprägt. Dort herrscht ein sehr offenes und von einem „kulturellen Mix“ geprägtes Klima, in dem „alle Schichten und Klassen der französischen Gesellschaft“ vertreten sind. Die Gruppen der VA sind für ihre Hingabe für den Verein und große Kurvenshows bekannt. Die Kontakte der Wilden Horde Köln und den aus der WH hervorgegangenen Coloniacs bestehen vor allem zu den Gruppen Supras und Authentiks. Das Verhältnis der Virage Auteuil zur anderen Pariser Kurve, dem Kop of Boulogne, ist seit jeher schlecht. „Seit 1991 gibt es in der VA organisierte Strukturen und seitdem verstehen sich die Kurven nicht. Natürlich gab es Zeiten, in denen man gut nebeneinander gelebt hat und es eine korrekte Arbeitsbeziehung gab, aber leider gab es auch schon immer schlechte Zeiten mit gewalttätigen Auseinandersetzungen.“ Bis zu besagtem Vorfall fand das Ganze in der diesem Konflikt geschuldeten Auflösung der Gruppe Tigris Mystic einen vorläufigen Höhepunkt. Der Kop of Boulogne wird von den sogenannten Independents, also den „unorganisierten“ Hooligans des PSG und der ehemaligen Ultrà-Gruppe Boulogne Boys besucht. Der Kop ist rechtslastig, was logischerweise seit jeher zu Problemen mit der von „Einwanderern“ geprägten Virage Auteuil führt. „Daher ist leider schon die Ausgangslage zwischen den beiden Kurven sehr schlecht. Hinzu kommen noch vielschichtige weitere Probleme, die aber hier den Rahmen sprengen würden. Auch wir, als Freunde von VA und Tribune G sind im Kop nicht gerne gesehen und in dieser Saison erfolgten die ersten gezielten Angriffe auch auf uns.“

Aus dieser Ausgangslage heraus kam es nun zu dem Vorfall mit all seinen tragischen Folgen. „Alles passierte rund um das Derby gegen OM. Beim Hinspiel ist es in Marseille zu schweren Zusammenstößen zwischen den Parisern und den Bewohnern Marseilleis (bei weitem nicht nur Fußballleute) gekommen. Schon bei diesen hätte es beinahe Todesopfer zu beklagen gegeben.“ Dabei kommen schwerwiegende gesellschaftliche Probleme zwischen der zentralistischen Hauptstadt und der von sozialen Spannungen geprägten Mittelmeer-Metropole Marseille zum tragen. „Die Situation vor dem Rückspiel in Paris war also eh schon angespannt. Es sollte dann jedoch anders kommen, denn OM boykottierte das Spiel nahezu komplett und der Gästeblock blieb geschlossen. Die Gruppen richteten sich gegen eine überwachte Anreise. VA und Tribune G befanden sich schon vorher im Streik gegen Colony Capital, eine Kapitalgesellschaft, der die Mitschuld am Niedergang des PSG gegeben wird. Zwar sollte zumindest der akustische Boykott für das Derby ausgesetzt werden, aber durch das Fernbleiben der Gäste wurde auch das durchgezogen. Der Kop hingegen war beflaggt und es gab organisierten Tifo.“ Schon vor dem Spiel kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den Mitgliedern der jeweils stark vertretenen beiden Pariser Kurven. Die Gruppen der Auteuil hatten zusätzlich Stress mit der Polizei, der in etwa 30-minütigen Auseinandersetzungen endeten. In dieser Situation starteten Hooligans des Kops einen Angriff auf einen Eingang der Virage Auteuil. „Auf dem Weg schlugen die ca. 150 Hools schon wahllos Schwarze und Araber und sangen rassistische Lieder. Am Stadion angekommen attackierten sie dann den Eingang zur VA. Wie im Schock zogen sich die dort noch teilweise vor dem Stadion stehenden Ultras erstmal zurück. Nach harten Kämpfen in der ersten Reihe und einigen Minuten sammelte sich der Mob wieder und ging zum Gegenangriff über. Dabei wurden die Hools die Straße an der Tribune G hinuntergejagt. Ein Mitglied der CFP kam dabei zu Fall und wurde noch am bodenliegend mehrfach getreten und geschlagen.“ Yann, einer der führenden Leute des Kop und Initiator des Angriffs, erlag einige Tage später seinen inneren Verletzungen.

Eine Tragödie, die allerdings aufgrund von schwerwiegenden Problemen in der französischen Gesellschaft entstand und zwar den Fußball als Bühne fand, aber doch auch in einem ganz anderen Kontext geschehen hätte können. Der Fußball ist für den Tod nicht ursächlich, im Gegenteil die Gesellschaft mit ihrer sozialen Schieflage und rassistischen Ausgrenzung, dessen Produkt Yann war, ist es und benutzt den Fußball als Sündenbock um von den wirklichen Problemen abzulenken. Noch weniger sind es die Gruppen der VA, die sich gegen einen rassistisch motivierten Angriff verteidigten. Jetzt sollen aber die Gruppen der Auteuil und die Ultras allgemein büßen. Grundlage ist ein in Frankreich mögliches Verbot von Fan-Gruppierungen. Anders als viele deutsche oder italienische Gruppen haben französische Ultras eine dem Verein ähnliche offizielle Rechtsform, was ein Verbot natürlich deutlich einfacher macht. Zusätzlich wird das Tragen von Logos und Zeichen der betroffenen Gruppen unter teilweise harte Strafen bis hin zu Haft belegt.

Wie schaut jetzt die Realität in den Kurven nach einem solchen Verbot aus? Bereits vor zwei Jahren wurde die Gruppe Boulogne Boys durch das Innenministerium verboten. „Die Gruppe als solche gibt es nicht mehr und sie kann keine Präsenz mehr zeigen. Selbst das tragen ihrer Symbole steht unter Strafe. An den internen Abläufen hat sich nur marginal etwas geändert. An ihrem Standort hängt ein Banner ohne Schrift, dass klar ihnen zuzuordnen ist und sie nutzen – wie immer – ihre Mikrophonanlage. Natürlich sind durch das Verbot auch einige Leute abgeschreckt worden. Es haben sich zwei neue Gruppen gebildet, die jedoch bei weitem nicht mehr eine vergleichbare Mitgliederstärke aufweisen können. Der Großteil ist nun unabhängig und gehört einfach zum Kop. Dies verschlimmert die Situation natürlich, da nun kein direkter Zugriff mehr besteht. Der Verein war und ist schon immer dem Kop zugewandt gewesen und macht daher keinen großen Druck. In der VA sind die Menschen alle zutiefst betroffen, dass ihr Verein offensichtlich Rassisten schützt und wissen nicht, wie es weitergehen soll. Natürlich schwebt über allem noch das Damoklesschwert der Gruppenverbote. Einzelne Personen sitzen in Untersuchungshaft und ihnen drohen lange Haftstrafen. In Paris spielen sich gerade leider jede Menge persönlicher Dramen ab. Der Verein, Medien und Staat haben sich klar auf Seiten der Rassisten geschlagen, was alles nur noch schlimmer macht. Der PSG-Präsident glänze mit Aussagen wie ‚Auf Auteuil gäbe es einen zu großen Mix der Kulturen‘. Es wird nun versucht den Spieß umzudrehen und aus VA und Tribune G einen Block aus ‚Anti-Weißen – Rassisten‘ zu machen. In den nächsten Tagen wird sich erstmal die Verbotsfrage klären müssen. Da es gerade eine Wahlperiode ist, stehen die Zeichen jedoch leider relativ schlecht….“.

Quelle: Südkurvenbladdl